Frischen Neuanfang wagen Obama trifft Medwedew
01.04.2009, 07:00 UhrNach Jahren des gegenseitigen Misstrauens, der Drohungen und beißenden Kritik wollen die USA und Russland beim Weltfinanzgipfel einen Neustart auf höchster Ebene wagen. Für das persönliche Kennenlernen 1. April in London haben sich Kremlchef Dmitri Medwedew und US-Präsident Barack Obama als Führer zweier ungleicher Großmächte vor allem eines vorgenommen: einander wieder zuzuhören.
Zwar wollen beide nach ihrem Treffen am Rande des G20-Gipfels eine gemeinsame Erklärung über neue Abrüstungsbemühungen abgeben; insbesondere soll ein Nachfolgeabkommen für den auslaufenden Vertrag zur Reduzierung strategischer Atomwaffen (START) ausgehandelt werden. Auch haben die Außenminister beider Länder, Hillary Clinton und Sergej Lawrow einen "Neuanfang" in den Beziehungen beschworen. Aber in Washington fürchten viele, dass die Positionen zwischen den USA und Russland trotz aller freundlichen Signale unvereinbar bleiben.
Mit frischem Elan wollen Medwedew und Obama eine Liste schwieriger Themen anpacken. Das Konfliktpotenzial reicht von den US-Plänen für eine Raketenabwehr in Mitteleuropa, die bei Obama offenbar keine Priorität genießt, über die NATO-Avancen an Georgien und die Ukraine bis hin zu neuen Abrüstungsverhandlungen.
Was zu einer neuen Partnerschaft führen könnte, hatte mit einer diplomatischen Ohrfeige begonnen. Am Tag nach Obamas Wahl im November 2008 verkündete Medwedew zum Entsetzen des Westens, er sehe sich dazu gezwungen, Kurzstreckenraketen an der NATO-Ostgrenze in Kaliningrad zu stationieren. Später ruderte der Kreml wieder zurück. Im Bemühen um Wiedergutmachung öffnete Russland sein Territorium für den Transport von US-Militärgütern nach Afghanistan.
Medwedew ist skeptisch
Bei aller Freude über das Amtsende des äußerst unbeliebten George W. Bush begegnen die Russen auch Obama mit Skepsis. Dessen jüngste Ankündigung, dass "Länder, die NATO-Mitglied werden wollen, auch beitreten können", sorgte in Moskau für allergische Reaktionen. Lawrow entgegnete spitz, er glaube nicht, "dass eine solche Osterweiterung zu einer Stärkung der gesamteuropäischen Sicherheit führt". Moskau wartet ab, ob Obama in ähnlich scharfem Ton wie Bush die Menschenrechtslage in Russland kritisieren wird.
Seit Jahren überschlägt sich die russische Außenpolitik in dem Bemühen, von den USA ernst genommen zu werden. Wenn schon nicht als Partner, dann als Konkurrent. Der mächtige Sicherheitsapparat betrachtet den Anti-Amerikanismus als Lebenselixier. Die USA hingegen werten den Georgien-Krieg und den Gaskonflikt mit der Ukraine als Belege für die Bemühungen des Kremls, in der Region und in der Welt wieder als Großmacht aufzutreten.
Aus konservativer US-Sicht versucht Russland - vor allem getrieben von dem "starken Mann" in Moskau, Ministerpräsident Wladimir Putin - an die Zeiten der Sowjetunion anzuknüpfen. Der republikanische Senator John McCain hatte sogar den Ausschluss Russlands aus der G8-Gruppe gefordert, um Moskau in die Schranken zu weisen.
Obama signalisiert Verständigungsbereitschaft
Obama gibt sich große Mühe, Signale der Verständigungsbereitschaft zu senden. Allerdings hat der Demokrat bei den strittigen Themen noch keine Position Bushs verlassen. Angesichts der Dominanz der Finanz- und Wirtschaftskrise habe die neue US-Regierung noch gar keine klare Linie im Umgang mit Russland gefunden, argumentierte der Ex-Präsidentenberater und Verteidigungsexperte Stephen Flanagan vom Politikinstitut CSIS (Washington). Allerdings hätte Washington auf manchen Feldern "ein überragendes Interesse" an einer besseren Zusammenarbeit, sei es bei Transportwegen ins afghanische Kriegsgebiet oder dem Versuch, Teheran von Bau von Atomwaffen abzuhalten.
Der außenpolitisch noch wenig erfahrene Obama wird in London vor allem ausloten wollen, wie groß die Möglichkeiten zu einer neuen Verständigung sind. Als wichtigstes Ziel der Russlandpolitik auch der neuen US-Führung gilt, Moskau auf eine gemeinsame Linie gegen eine drohende Nuklearmacht Iran zu bringen. In einem Brief hat Obama Medwedew offenbar eine flexiblere Haltung bei der Aufstellung des US-Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen angedeutet - falls es gemeinsam gelänge, die Atomprogramme Teherans zu stoppen.
US-Experten wie der Chefredakteur der Zeitschrift "Foreign Policy", Moises Naim, fürchten, dass Medwedew aus innenpolitischen Erwägungen heraus Obama brüskieren könnte. "Medwedew muss zeigen, dass er genauso hart wie Putin ist", schrieb Naim. Der russische Präsident werde Obama testen wollen, meinte auch CSIS-Europaexperte Reginald Dale. Es sei wichtig, dass Obama "die erforderliche Entschlossenheit und Klarheit zeigt. Es ist nicht genug zu sagen, 'Lass uns Freunde sein'", warnte Dale. "Das funktioniert nicht mit den Russen."
Stefan Voß und Laszlo Trankovits, dpa
Quelle: ntv.de