Aufbruchstimmung abgeklungen Politischer Stillstand im Libanon
30.11.2008, 17:26 UhrDie Euphorie der Libanesen war groß, als General Michel Suleiman im Mai zum Präsidenten gewählt wurde. Nach monatelangem Streit hatten sich die verfeindeten libanesischen Parteien bei einer Versöhnungskonferenz in Katar auf einen Staatschef geeinigt. Die Kämpfer der schiitischen Hisbollah und anderer pro-syrischer Milizen hatten das Stadtzentrum von Beirut wieder verlassen. Heute, ein halbes Jahr nach der Vereidigung des Präsidenten, ist von dieser Aufbruchsstimmung nichts mehr zu spüren.
In der Hauptstadt Beirut herrscht vielmehr der Eindruck, ein unsichtbarer Finger habe auf die Pause-Taste gedrückt. Investitionen werden auf die lange Bank geschoben. Politisch herrscht Stillstand, während sich die Parteien auf die für kommenden Mai geplanten Parlamentswahlen vorbereiten.
Konflikt könnte neu aufflammen
Der Inhaber eines Schuhgeschäftes im Al-Hamra-Viertel, wo Hisbollah-Kämpfer im Mai binnen weniger Stunden mit Waffengewalt die Kontrolle übernommen hatten, seufzt tief. Obwohl es seit Tagen regnet, stehen in seinem Geschäft vor allem hochhackige Sandalen. Die vier Einschusslöcher in seinem Schaufenster hat er von innen mit Folie zugeklebt. "Eigentlich wollen wir den Laden komplett renovieren", sagt er. Doch irgendwie fehlt ihm das Vertrauen.
Es wird spekuliert, dass die schwelenden Konflikte im März neu aufflammen könnten, wenn das internationale Tribunal für die Aufklärung des Attentates auf Ex-Präsident Rafik Hariri seine Arbeit aufnimmt. Denn in die Planung des Anschlags sollen syrische Funktionäre verwickelt gewesen sein. Auch ist möglich, dass der Streit zwischen dem anti-syrischen Lager um Ministerpräsident Fuad Siniora und dem Lager der Syrien-Freunde unter Führung der Hisbollah nach der Wahl erneut eskalieren wird.
Investoren abgeschreckt
"Wer clever ist und die Möglichkeit hat zu gehen, der verlässt dieses Land, nur Leute wie ich, die keine Top-Ausbildung und Kinder in der Schule haben, bleiben", klagt die blondierte Kosmetikerin Lina. Schuld an der Misere ist ihrer Ansicht nach die gesamte Politikerkaste ihres Heimatlandes - von Drusenführer Walid Dschumblatt bis zu Christengeneral Michel Aoun - "und die Idioten die diesen Leuten wie brave Lämmer hinterherlaufen".
Mit ihrer Politikverdrossenheit steht Lina nicht alleine da. "Wagt es bloß nicht, ohne eine Einigung zurückzukommen!", hatten Libanesen im Mai auf ein Transparent geschrieben, das sie an der Straße zum internationalen Flughafen von Beirut befestigten, während die politischen Führer des Landes in Katar über die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit verhandelten. Diese kamen zwar damals mit einer Einigung zurück. Doch nach Ansicht der meisten Beobachter hat sich seither nur wenig gebessert in dem arabischen Land, das vor dem Bürgerkrieg (1975-1990) als "Schweiz des Nahen Ostens" galt. Die Hisbollah ist jetzt an der Regierung beteiligt, was abschreckend auf viele libanesische und ausländische Investoren wirkt.
Dubai löst Beirut ab
Zwar gehören die Restaurants von Beirut immer noch zu den besten der arabischen Welt und nirgendwo sonst in der Region sprechen die Menschen so viele Fremdsprachen wie im Libanon. Doch von seinem Platz als Handelsdrehscheibe und Tourismusmetropole der Region hat Dubai Beirut längst verdrängt. Dort explodieren keine Bomben. Stattdessen werden in der Golfmetropole im Eiltempo Frachtterminals, Hotels und riesige Einkaufszentren gebaut.
Der Vergleich mit Dubai schmerzt die Libanesen zutiefst. "Live the Beirut Lifestyle", steht am internationalen Flughafen von Beirut auf einem Plakat. Doch geworben wird damit nicht etwa für Immobilien in Beirut, sondern für Luxuswohnungen in Dubai.
Quelle: ntv.de, Anne-Beatrice Clasmann, dpa