Nach der Reform Posten-Poker in der EU
18.10.2007, 19:27 UhrNach der mühevollen Reform ihrer Verträge sind bei der Europäischen Union prestigeträchtige Spitzenposten zu vergeben. In Brüssel wird ein Geschacher großen Stils erwartet, denn es geht um Einfluss, Macht und Geld. Wenn die Reformverträge 2009 wie geplant ratifiziert sind, soll es das Amt eines neuen EU-Präsidenten geben. Er wird die Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs leiten. Als mögliche Kandidaten werden der frühere britische Premierminister Tony Blair, Polens Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski oder der dienstälteste Regierungschef der Union, Luxemburgs Jean-Claude Juncker, gehandelt.
Der neue Vertrag sollte bei dem am Donnerstag beginnenden Gipfeltreffen in Lissabon endgültig unter Dach und Fach gebracht werden. Der weitgehend nur Fachjuristen verständliche Text verspricht Entlastung für die im Halbjahresturnus wechselnden EU- Ratspräsidentschaften. Die jeweiligen Länder klagten häufig über die schwierige Vorbereitung von EU-Treffen. Im vergangenen Halbjahr wandte Kanzlerin Angela Merkel im Namen des deutschen EU-Vorsitzes viel Zeit und Energie für Brüsseler Geschäfte auf. Sie erntete aber dann auf dem Juni-Gipfel einen Riesen-Beifall für die hart verhandelte Grundsatz-Einigung auf die neuen Verträge.
Zukünftig zu wenig Arbeit für Ratspräsidenten?
Diplomaten befürchten, dass die "Chefs" der Präsidentschaften - wie damals Merkel - künftig über zu wenig Arbeit klagen könnten, da sie die Gipfeltreffen der Union nicht mehr leiten. Das ist fortan die Aufgabe des EU-Präsidenten. Falls der neue Vertrag schon gegolten hätte, wäre Merkels Triumph nach den 36-stündigen Marathonverhandlungen in einer Brüsseler Sommernacht unmöglich gewesen. Denn der Erfolg wäre dem EU-Präsidenten zugeschrieben worden.
Es gibt im künftigen Brüsseler Machtgefüge immer noch viele Unklarheiten, die im kommenden Jahr noch vor Inkrafttreten der neuen Verträge in komplizierten Verhandlungen beseitigt werden müssen. Dazu gehören Protokollfragen, deren Bedeutung von vielen immer noch unterschätzt wird. Ein Problem lautet: Wo soll der potenziell unterbeschäftigte Chef der "normalen" Präsidentschaft im Saal sitzen, wenn er das Gipfeltreffen nicht mehr leiten darf?
Posten eines europäischen Außenministers
Neu zu besetzen ist auch der Posten eines europäischen Außenministers. Um die Briten nicht zu provozieren, nennt der EU- Chefdiplomat sich vornehm "Hoher Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik". Er soll den Außenauftritt der Union bündeln und für die Partner in der Welt die "Telefonnummer Europas" sein - wie es der frühere US-Außenminister Henry Kissinger stets eingefordert hatte.
Der "Außenminister" ist - anders als der derzeitige EU- Chefdiplomat Javier Solana - gleichzeitig Chef des EU- Außenministerrates und Vizepräsident der EU-Kommission. Das ist eine sehr ungewöhnliche Kombination, da diese beiden Institutionen ganz unterschiedliche Aufgaben haben und deshalb getrennt arbeiten. Als ein möglicher Kandidat gilt der schwedische Ressortchef Carl Bildt.
"Rat der Weisen"
2009 muss auch der Posten des EU-Kommissionspräsidenten neu besetzt werden. Amtsinhaber Jos Manuel Barroso (51) würde gerne in Brüssel weitermachen. Spitzenvertreter des Europaparlaments wie der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz weisen jedoch süffisant darauf hin, dass der Kommissionspräsident von der Mehrheit der Abgeordneten gewählt werden muss. Also ist Barrosos Wiederwahl noch keine ausgemachte Sache.
Bereits beim Dezembergipfel soll über den "Rat der Weisen" entschieden werden. Ideengeber für dieses Gremium, das über die Zukunft der EU und ihre Grenzen nachdenken soll, ist der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Für ihn ist der Weisenrat die Vorbedingung für die Weiterführung für die von ihm nicht sehr geschätzten Verhandlungen mit dem Beitrittskandidaten Türkei. Der Herr des Elyse-Palastes hat noch nicht verlauteten lassen, wen er für klug genug hält, diese Gruppe zu leiten.
Von Christian Böhmer, dpa
Quelle: ntv.de