Dossier

Später Versuch der Gerechtigkeit Prozess gegen Khmer-Anführer

Jeden Tag muss Chhum At den Mördern ihrer drei Brüder, ihres Onkels und ihrer Tante ins Gesicht sehen. Die 40-Jährige lebt im Dorf Trapaing Sva im Süden der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh - genauso wie jene Männer, die als Mitglieder der Roten Khmer vor mehr als 30 Jahren ihre Angehörigen töteten.

Ein Stapel aus Gebeinen der Opfer, aufgeschichtet wie Holzscheite, verunstaltet mit Müll und Lumpen, erinnert an die Toten des Dorfes. Mehr als 10.000 Menschen sollen allein in Trapaing Sva den Schergen Pol Pots zum Opfer gefallen sein, im ganzen Land waren es Schätzungen zufolge 1,7 Millionen. Sie mussten sich zu Tode schuften, verhungerten, wurden gefoltert und hingerichtet.

Chhum At hatten die Roten Khmer ihrer Mutter entrissen, das Mädchen musste auf Reisfeldern arbeiten und nachts die Schreie derjenigen hören, die auf den so genannten "Killing Fields" zu Tode geprügelt wurden. Chhum At kann ihren Peinigern nicht vergeben. "Innerlich glühen wir vor Hass und wollen Rache", sagt sie.

Versöhnung bleibt fraglich

50 Kilometer von Chhum Ats Dorf entfernt beginnt am 17. Februar ein Prozess gegen fünf Anführer der Roten Khmer, der 30 Jahre nach dem Ende ihres Regimes ein Stück der brutalen Vergangenheit aufarbeiten soll. Nach langen Jahren der Verzögerung muss sich als erster Kaing Guek Eav, genannt Duch, vor dem UN-Sondergerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das damals geltende Strafgesetz verantworten. Duch leitete das berüchtigte Gefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh, in dem mehr als 12.000 Männer, Frauen und Kinder gefoltert und ermordet wurden.

Mit 66 Jahren ist Duch der jüngste der fünf Angeklagten, der älteste ist 83. Viele Kambodschaner befürchten deshalb, sie könnten noch vor der Verurteilung sterben. Pol Pot, der Anführer der Schreckensherrschaft, ist bereits seit elf Jahren tot.

"Nach 30 Jahren werden wir hoffentlich endlich die Wahrheit erfahren", sagt einer der wenigen Überlebenden des Gefängnisses, Vann Nath. Ein anderer, Chum Mey, spricht von einem "neuen Schritt hin zur Gerechtigkeit".

Ob der Prozess tatsächlich zu einer Versöhnung im Land beitragen kann, ist fraglich. Eine Umfrage der kalifornischen Universität Berkeley ergab, dass die meisten Kambodschaner immer noch Hass gegenüber den Roten Khmer empfinden. 71 Prozent der Befragten sagten, sie wollten die Verantwortlichen leiden sehen, 40 Prozent gaben an, sie würden Rache üben, wenn sie könnten.

Emotionen und Rache

Um die dunkle Vergangenheit zu überwinden, seien mehr als eine handvoll Prozesse gegen Anführer notwendig, urteilt Youk Chhang, der Leiter des kambodschanischen Dokumentationszentrums, das die Verbrechen der Roten Khmer untersucht. "Die meiste Rache wurde bereits genommen und der Rest ist eine Grauzone, die man nur schwer in den Griff bekommt. Das ist sehr emotional, das ist ein Trauma."

Die Täter im Dorf Trapaing Sva scheinen ihren Frieden mit der Vergangenheit gefunden zu haben, sie haben keine Angst vor Racheakten. "Ich hatte doch nur einen unteren Rang, ich konnte gar keinem helfen", sagt Chuon Chhon, der als Wächter im Dorfgefängnis der Roten Khmer arbeitete. Mit den Massengräbern in der Gegend habe er nichts zu tun. Auch viele seiner Verwandten seien getötet worden.

"Die Leute sind noch voller Wut, aber sie zeigen sie nicht öffentlich. Das ist besser als früher, als sie versuchten, sich umzubringen", sagt Sao Phen, der 1979 mit den von Vietnam unterstützen Truppen ins Dorf kam, die die Roten Khmer stürzten.

Wären die Anführer früher vor Gericht gestellt worden, hätten die Prozesse vielleicht etwas gegen die Gewalt ausrichten können, spekuliert der 63-Jährige. Nun werde die Zeit die Wunden heilen: "Manchmal gehen sich die Leute aus dem Weg, aber dann verliebt sich die Tochter des einen in den Sohn des anderen. Wenn sie dann heiraten, sind ihre Familien gemäß der kambodschanischen Tradition eng verbunden. Wie sollen sie da noch Rache üben?"

Quelle: ntv.de, Patrick Falby, AFP

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