Dossier

Entscheidung der Hardliner Putin setzt KSE-Vertrag aus

Nach Monaten voller Drohungen an die Adresse der NATO lässt der Kreml in der Nacht zum 12. Dezember Taten folgen. Russland setzt den KSE-Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa auf Anordnung von Präsident Wladimir Putin aus. Zwar wird weiter über einen neuen Kompromiss mit der NATO verhandelt, doch schafft Moskau fürs Erste Tatsachen.

Russische Hardliner wollen endlich wieder die Möglichkeit haben, ohne Kontrolle von außen ihre Truppenverbände nach eigenen Sicherheitsinteressen verschieben zu können. Darüber kann auch die halbherzige Initiative Moskaus nicht hinwegtäuschen, noch in letzter Minute der NATO Altbundeskanzler Gerhard Schröder als Vermittler vorzuschlagen.

Russlands Militärführung bemüht sich in diesen Tagen, das Verhältnis zum Westen nicht eskalieren zu lassen. Die Aussetzung des Vertrags bedeute nicht automatisch, dass die Streitkräfte in Richtung der NATO-Staaten umgruppiert würden, heißt es in Moskau. Militärstrategen war der Vertrag seit langem ein Dorn im Auge, weil er an der Nord- und Südflanke niedrige Truppenkonzentrationen vorschrieb.

Einfluss auf die Nachbarstaaten nehmen

Gerade an der Grenze zur Ukraine sowie zu den NATO-Mitgliedern im Baltikum sehen die Falken im Verteidigungsministerium Handlungsbedarf. "Wir müssen dort unsere Interessen stärker vertreten", schreibt der Militärexperte Michail Barabanow in einem Beitrag für die Zeitschrift "Profil". Mit einer stärkeren Truppenpräsenz erhalte Russland "ein effektives Machtpotenzial, um dauerhaft Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik der Ukraine und der baltischen Länder zu nehmen". Selbst eine Besetzung benachbarter Gebiete hält der Mitarbeiter des Zentrums für strategische Analysen und Technologien im Einklang mit der Militärdoktrin für rechtens, falls "die Wahrung nationalstaatlicher Interessen Russlands" dies erforderlich mache.

Diese aggressive Position teilt bei weitem nicht die gesamte russische Generalität. Es habe den Anschein, die Russen seien nicht komplett gegen eine Kontrolle über die konventionellen Streitkräfte, berichtet der Repräsentant eines NATO-Landes in Moskau. Zwar braucht Russland nun nicht mehr zum neuen Jahr seine Streitkräftegliederung offenzulegen und Inspekteure ins Land zu lassen. Doch zugleich halte sich Moskau weiter an vergleichbare Verträge über konventionelle Streitkräfte.

Russland hadert seit langem mit der als expansiv empfundenen Erweiterungspolitik der NATO. Den Beitritt einstiger Mitglieder des Warschauer Paktes nahm Moskau lange Jahre mit geballter Faust in der Tasche hin. Das Fass zum Überlaufen brachten die US-Pläne für eine Raketenabwehr in Mitteleuropa, durch die Russland seine Sicherheit gefährdet sieht. Auch Washington scheint zunehmend das Interesse an den Abrüstungsverträgen als Errungenschaften aus der Endzeit des Kalten Krieges verloren zu haben.

Auf dem Weg zu alter Stärke

Gestärkt durch die Milliardeneinnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft sieht sich der Kreml auf bestem Wege zu alter Stärke. Formell setzte Moskau den fast zwei Jahrzehnte alten KSE-Vertrag aus, weil die NATO- Staaten dessen angepasste Variante von 1999 bis heute nicht ratifiziert haben.

Mit Drohungen wie der möglichen Stationierung neuer Atomraketen ließ Putin den Westen in den vergangenen Monaten immer wieder zusammenschrecken. Doch zugleich bot der Kremlchef an, jederzeit zu den Rüstungskontrollen zurückzukehren, wenn der Westen Moskaus Interessen stärker berücksichtigt. Bereits am Donnerstag kommen russische und amerikanische Regierungsbeamte wieder zusammen, um über die Raketenabwehrpläne Washingtons zu verhandeln.

Der Westen muss sich damit abfinden, dass die Zeit der schnellen Kompromisse mit Russland fürs Erste vorbei ist. Daran dürfte sich auch nichts ändern, wenn Putin im kommenden Frühjahr gemäß Verfassung abtritt. Sein wahrscheinlicher Nachfolger Dmitri Medwedew gilt zwar als liberaler Politiker, seine Loyalität zu Putin steht aber völlig außer Frage. Moskau dürfte in Zukunft auch die EU-Länder stärker in die Pflicht nehmen. Die Russen wollen wissen, ob die europäische Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert mit oder gegen ihr Land gestaltet wird.

Von Stefan Voß, dpa

Quelle: ntv.de

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