Dossier

Ende der Kirche im Irak? Schäubles Angebot strittig

Für seinen Vorschlag, christliche Flüchtlinge aus dem Irak in Deutschland aufzunehmen, erntet Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Zweistromland nicht nur Applaus. Zwar ist ein Teil der noch im Land verbliebenen Christen dankbar für das Angebot. Doch befürchten einige Gemeindevertreter, dass die Aussicht auf einen Neuanfang in Deutschland noch mehr Christen ins Exil treiben wird. Das könnte ihrer Ansicht nach die seit Jahrhunderten andauernde Präsenz der christlichen Kirchen in Mesopotamien beenden.

"Wir sind Iraker, für uns ist es schwer, das Land unserer Vorfahren zu verlassen", erklärt Estaveri Haritonian, der Vorsitzende der Nationalen Protestantischen Kirche im Irak. "Das Angebot des deutschen Ministers ist gut gemeint, aber die Christen sollten den Irak nicht verlassen, denn es ist ihr Land und die christliche Zivilisation ist hier tief verwurzelt", sagt der 62-jährige Christ Abu Ammar, der in Bagdad mehrere Lagerhallen für Lebensmittel besitzt.

Wenig Hoffnung auf ein gutes Leben

Doch gerade junge irakische Christen, die in ihrer von Terror und Korruption zerstörten Heimat keine Chance auf ein Leben in Frieden und Wohlstand sehen, wollen lieber auswandern als im Land bleiben und auf eine Wende hoffen. Zu ihnen gehört Jussif Matta, der es bereits bis in die jordanische Hauptstadt Amman geschafft hat. "Ich hoffe, dass diesem Angebot aus Deutschland möglichst rasch Taten folgen werden, denn mir geht jetzt das Geld aus", sagt er.

Weniger Begeisterung hat der Vorstoß des Innenministers bei muslimischen Irakern ausgelöst, die verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit suchen. Sie werfen Schäuble "Diskriminierung und Rassismus" vor.

Wie viele Christen seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Frühjahr 2003 aus dem Irak geflohen sind, weiß niemand genau zu sagen. Von den etwa 1,4 Millionen Christen, die in den 80er Jahren noch in dem arabischen Land lebten, waren wegen der Folgen des UN-Embargos und der "islamischen Glaubens-Kampagne" des Regimes schon in den letzten Jahren der Saddam-Herrschaft viele in den Westen ausgewandert. In den USA gibt es seither einige sehr aktive Gemeinden irakischer Christen. Nach der US-Invasion lebten im Irak noch etwa 800.000 Christen. Laut Schätzungen von Gemeindevertretern und Menschenrechtsorganisationen soll seither etwa die Hälfte von ihnen geflohen sein.

Chald äer fliehen in Kurdenregion

Ein Großteil der christlichen Flüchtlinge lebt in Syrien, einige in Jordanien. Viele Christen aus dem Süd- und Zentralirak haben in der autonomen Kurdenregion im Nordirak Zuflucht gesucht, die als relativ sicher gilt. Unter den irakischen Christen bilden die Chaldäer die größte Gruppe. Der Erzbischofs der chaldäisch- katholischen Christen im Irak, Paulos Faradsch Raho, war im Februar entführt und zwei Wochen später tot aufgefunden worden.

Jeder christliche Flüchtling aus Bagdad oder Mossul kann eine Horrorgeschichte erzählen, von Angehörigen, die von Lösegelderpressern entführt wurden, von christlichen Friseuren, die von langbärtigen Terroristen massakriert wurden, weil ihre Kunden "unislamische Haarschnitte" hatten. Oft hören Christen von den Extremisten: "Konvertiere zum Islam oder verschwinde, sonst bringen wir Dich um!"

Von Anne-Beatrice Clasmann und Ziad Haris, dpa

Quelle: ntv.de

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