Dossier

Medwedew verspricht Kurswechsel Schon kommt Skepsis auf

Jetzt läuft sich Dmitri Medwedew vor seiner absehbaren Wahl am 2. März doch noch warm für den Posten als neuer Präsident Russlands. "Freiheit ist besser als keine Freiheit", rief der als vergleichsweise liberal eingeschätzte Jurist dieser Tage bei einem Wahlkampfauftritt im sibirischen Krasnojarsk. Der 42 Jahre alte Vizeregierungschef verspricht, was der Westen gern hört - und bisher in Russland vermisst: "Unabhängige Medien" und ein Justizwesen ohne Willkür, menschlichere Verhältnisse in Gefängnissen und dazu eine Stiftung zur Wiedergutmachung zahlloser Unrechtsurteile der Gerichte. Breite Zustimmung ist Medwedew sicher. Doch zweifeln einige Experten, dass der Kremlfavorit den Kurswechsel in Russland herbeiführen kann.

Medwedews Pläne zur Modernisierung des Landes lassen bei Nutznießern des alten Systems - vom Staat über das Militär bis zu den Geheimdiensten - die Alarmglocken schrillen, weil sie um ihre Pfründe fürchten. Provokationen seitens der Bürokratie und der organisierten Kriminalität seien programmiert, warnte der kremlnahe Politologe Gleb Pawlowski. Dennoch sagt Medwedew der Korruption als "schwerster Krankheit Russlands" den Kampf an. Einer neuen Moskauer Untersuchung zufolge sind die Schmiergelder so hoch wie nie zuvor.

Bestechungsgelder fließen

Die Bestechungsgelder fließen für Lizenzen, für Siege vor Gericht, Behandlungen im Krankenhaus oder Gefälligkeitsberichte in den Medien. In keinem Land würden die Gesetze so missachtet wie in Russland, kritisierte Medwedew in Krasnojarsk. Er will künftig nicht nur staatliche Dienstleistungen in die Privatwirtschaft auslagern. Aufhorchen ließen auch seine Pläne, den staatlichen Einfluss in Großunternehmen zurückzudrängen. "Die meisten Staatsbeamten haben in den Aufsichtsräten dieser Firmen nichts zu suchen", betonte er. Unabhängige müssten nun auf die Posten.

"Seine Worte klingen wie die eines liberalen Politikers aus dem Westen", lobte die Wirtschaftszeitung "Kommersant" Medwedews Krasnojarsker Rede. Mit dem Mut zu radikalen Veränderungen distanziere er sich vom jetzigen Machtapparat. Von einer "Hymne auf die Freiheit", schrieb das Boulevardblatt "Moskowski Komsomolez". "Es ist wichtig, dass viele Probleme erstmals von so hoher Stelle beim Namen genannt werden", hob der Vize-Präsident der Vereinigung kleiner und mittlerer Unternehmen, Wladislaw Korotschkin, hervor.

Die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta" beobachtet, wie Medwedew "nun aus der Deckung kommt und sich um Popularität bei der Wählerschaft bemüht". Er will brennende Themen wie die Reform des Rentensystems anpacken, aber auch die Elternförderung, das Problem des verbreiteten Alkoholmissbrauchs und den Schutz ethnischer Minderheiten. Ziel müsse sein, Gesetzesvorhaben künftig öffentlich zu diskutieren und von Experten bewerten zu lassen und sie nicht einfach nur durchzuwinken. Beobachter gehen davon aus, dass Medwedew dies und auch sonst nichts ohne ausdrückliche Billigung Putins tut.

"Chemie stimmt"

Erst unlängst versuchte Putin wieder jene Bedenken zu zerstreuen, wonach die künftige Machtteilung mit Medwedew zum Scheitern verurteilt sei. Es gebe genügend Vollmachten, die sich ein Präsident Medwedew und ein ihm untergeordneter Ministerpräsident Putin teilen könnten, sagte der Kremlchef, dessen zweite und gemäß Verfassung letzte Amtszeit am 7. Mai ausläuft. "Die Chemie zwischen uns stimmt", betonte Putin und verwies auf das seit Jahren bestehende "tiefe Vertrauensverhältnis" mit Medwedew.

Zwar gilt Putin unangefochten als "nationaler Führer", dennoch sehen viele, dass Medwedew sein Profil allmählich schärfe. "Während Putin weiter seine harte Rolle des Wächters der Staatsinteressen wahrnimmt, stellt sich Medwedew als scheinbarer Liberaler dar, der sich um die Freiheit und das Wohlergehen jedes Einzelnen kümmert", schrieb die Kommentatorin der staatlichen Agentur Itar-Tass, Ljudmilla Alexandrowa. Doch werden auch Warnungen vor Medwedew laut. Wie Putin sei Medwedew ein von den Geheimdiensten beherrschtes Kremlprodukt, schrieb der frühere Vize-Energieminister Wladimir Milow in der Zeitung "Wedomosti". "Jede Euphorie über einen Liberalismus Medwedews ist daher fehl am Platz", meinte Milow Ende Januar.

Von Ulf Mauder, dpa

Quelle: ntv.de

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