Dossier

Algeriens Jugend perspektivlos Streben nach Europa

Drei Mal hat er es versucht, drei Mal wurde er entdeckt, verprügelt und nach Hause geschickt. "Jetzt reicht es mir erstmal, aber irgendwann versuche ich es wieder", sagt Timoul Khaled. Der 22-Jährige träumt wie viele junge Menschen in Algerien von einer Zukunft in Europa. "Was soll ich hier? Ich finde ja doch keine Arbeit", sagt er und lächelt resigniert. Im vergangenen Jahr hat die Zahl der jugendlichen Möchtegern-Auswanderer in dem nordafrikanischen Land deutlich zugenommen. Die algerischen Sicherheitskräfte nahmen im vergangenen Jahr etwa 1500 illegale Migranten fest, ein Drittel mehr als im Vorjahr. Sie fischten außerdem 83 Leichen von Auswanderern aus dem Meer, die die riskante Flucht übers Meer nicht überlebt haben.

Immer wieder klettern junge Männer in der Hauptstadt Algier nachts über die Hafenmauer und versuchen, sich auf eines der Frachtschiffe zu schmuggeln. "Einmal habe ich mich 24 Stunden in der Bordküche versteckt, aber bevor das Schiff ablegte, haben sie es durchsucht und mich gefunden", erzählt Khaled. Das Schiff sollte nach Frankreich gehen, da hätte er sich sicher gut zurechtgefunden, meint Khaled. Schließlich spreche er Französisch, und es gebe auch viele Muslime dort, sagt er.

Reicher Staat, armes Volk

Algerien ist dank seiner Öl- und Gasvorkommen ein relativ reiches Land. Die Wirtschaft wächst jährlich um etwa fünf Prozent, es werden Autobahnen, Kraftwerke, Wohnungen gebaut. Doch trotz allem gibt es nicht genügend Arbeit, vor allem für junge Leute. Gut zwei Drittel der Algerier sind unter 30, etwa die Hälfte von ihnen ist arbeitslos.

"Der Staat ist reich, aber das Volk ist arm", meint Chenikar Hamza, der sich seit seinem Ingenieursabschluss mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. "Von dem Öl profitiert nur die Regierung, bei allen anderen kommt von dem Reichtum nichts an", sagt er. "Selbst wenn man studiert hat, gibt es hier keine Zukunft. Wenn wir Visa bekämen, würden wir alle nach Europa auswandern", sagt er. Die jungen Arbeitslosen heißen in Algerien "Mauerhalter", weil sie oft stundenlang mit dem Rücken an eine Hauswand gelehnt stehen und die Zeit totschlagen.

Teure und lebensgefährliche Überfahrt

Menschenschmuggler, die Passagen auf Frachtschiffen oder Fischerbooten nach Europa vermitteln, finden unter ihnen leicht Kundschaft. Einen Platz auf einer der Holzbarken, die an der algerischen Küste Richtung Spanien oder Italien ablegen, lassen sich die Schlepper teuer bezahlen. Etwa 500 Euro kostet die lebensgefährliche Überfahrt derzeit. "Ich lass mich lieber von den Fischen im Meer als von den Würmern in der Erde fressen", lautet das Motto der Waghalsigen. Wer unterwegs von der Küstenwache aufgegriffen wird, dem droht in Algerien eine Gefängnisstrafe.

Aknine Hocine hatte es schon einmal geschafft, sich im Hafen von Algier auf einen Frachter zu schmuggeln. Vier Jahre hat er als "Papierloser" in der französischen Hafenstadt Marseille gelebt und auf Baustellen gearbeitet. "Ich habe mich immer gut verborgen", sagt er grinsend und zieht dabei seine Kapuze tief ins Gesicht.

Eines Tages habe ihn jedoch die Polizei aufgegriffen und ihn zurück nach Algerien geschickt. Jetzt trainiert er täglich Kampfsport und hofft darauf, an einem internationalen Wettkampf teilnehmen zu können. "Dann fahre ich mit einem Sportler-Visum nach Europa - und allez-hop!", sagt er und schlägt die Handkanten aufeinander - die Geste des Sich-aus-dem-Staub-Machens.

Von Ulrike Koltermann, dpa

Quelle: ntv.de

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