Lockerbie-Attentat Streit um Gnade oder Haft
18.08.2009, 16:24 UhrDie Entscheidung könnte kaum schwerer sein. Lässt man einen todkranken Mann, der 270 Menschen umgebracht hat, im Gefängnis fern der Heimat sterben? Oder zeigt man sich gnädig und lässt den verurteilte Massenmördern vorzeitig frei?

Am 21. Dezember 1988 zerriss eine Bombe die Boeing 747 der PanAm auf dem Flug von London nach New York.
(Foto: dpa)
Der todkranke Lockerbie-Attentäter hat sich mit dem Verzicht auf eine Berufung gegen seinen Schuldspruch die Option einer Rückkehr in seine libysche Heimat eröffnet. Ein Gericht im schottischen Edinburgh kam dem Wunsch des 57-jährigen Abdel Bassit Ali Mohammed al-Megrahi nach, den Fall nicht noch einmal aufzurollen. Wegen des Terroranschlags auf eine Maschine der US- Fluggesellschaft PanAm, bei dem 1988 im schottischen Lockerbie 259 Passagiere und 11 Bewohner des Ortes starben, war der Libyer 2001 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bis Ende August soll über ein Gnadengesuch oder eine Auslieferung des Mannes in seine Heimat entschieden werden. Al- Megrahi leidet an Prostata-Krebs im Endstadium.
Mit seinem Verzicht auf die Berufung hat Al-Megrahi eine juristische Hürde für seine Auslieferung nach Libyen aus dem Weg geräumt. Eine Überstellung in seine Heimat, wo er den Rest der Haft absitzen würde, wäre durch ein noch anhängendes Verfahren in Großbritannien blockiert worden. Für eine zudem mögliche Begnadigung mit anschließender Freilassung wäre die Berufung dagegen keine Hürde gewesen.
Schottlands Justizminister unter Druck

Gut zwölf Jahre nach dem Anschlag wurde der Libyer Abdel Bassit Ali Mohammed al-Megrahi im Januar 2001 zu lebenslanger Haft verurteilt.
(Foto: dpa)
Schottlands Justizminister Kenny MacAskill muss über das Schicksal des Lockerbie-Attentäters Ali Mohammed al-Megrahi befinden. Der Libyer sitzt wegen des Terroranschlags auf den PanAm-Flug 103 aus dem Jahr 1988 hinter Gittern. Und Minister MacAskill bekommt gehörig Druck. Aus einer juristischen Entscheidung ist ein politisches Tauziehen geworden.
Der Druck kommt aus ziemlich allen Ecken - auch von der anderen Seite des Atlantiks. US-Außenministerin Hillary Clinton machte unmissverständlich klar, was sie vom Justizminister der schottischen Regionalregierung erwartet: Der Verantwortliche für den schlimmsten Terroranschlag in der Geschichte des Königreichs soll die lebenslange Haft in Schottland absitzen, auch wenn er im Gefängnis an seinem Krebsleiden stirbt. Mehrere US-Senatoren schlugen in dieselbe Kerbe und erinnerten daran, dass Lockerbie bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 der Terrorakt mit den meisten toten US-Bürgern war.
Aber auch in der Heimat hagelt es Kritik. Oppositionspolitiker forderten, das Parlament aus den Ferien für eine Sondersitzung zusammenzutrommeln. Angehörige von Opfern sind entsetzt und bezweifeln, dass Al-Megrahi wirklich so sterbenskrank ist, wie es seine Anwälte darstellen.
Justizminister MacAskill hat für seine Entscheidung, die er bis Ende August treffen will, drei Alternativen. Er lässt den Libyer hinter Gitter. Er begnadigt ihn und lässt ihn somit frei. Oder er liefert ihn auf Antrag der libyschen Regierung in sein Heimatland aus, wo er seine Strafe nahe seiner Familie absitzen könnte. Den Weg für die Auslieferung machte Al-Megrahi frei, indem er überraschend darauf verzichtete, gegen seinen Schuldspruch in Berufung zu gehen. Stets hatte der Libyer auf die Möglichkeit gedrungen, seinen Namen reinzuwaschen. Und tatsächlich hatte eine Kommission Unstimmigkeiten bei der Beweisführung gesehen, die 2001 zu seiner Verurteilung geführt hatte. Umso argwöhnischer fielen die Reaktionen auf den juristischen Rückzieher aus.
Verschwörungstheorien

Alle 259 Insassen und elf Bewohner des schottischen Ortes Lockerbie kamen damals ums Leben.
(Foto: AP)
Hans Köchler, der damals den Lockerbie-Prozess für die UN beobachtet hatte, wittert einen Deal: Ölinteressen und andere Erwägungen verhinderten, dass eine andere Wahrheit über den Anschlag ans Licht kommen könnte. Libyen und Großbritannien hätten entschieden, "die Vergangenheit hinter sich zu lassen und in eine neue Phase der "Realpolitik" einzutreten", sagte er. In Schottland hatte es Stimmen gegeben, wonach auf Al-Megrahi Druck ausgeübt worden seien könnte, um ein neues Verfahren und damit möglicherweise neue Erkenntnisse zu vermeiden. Die Regierung hatte das zurückgewiesen.
Und auch das Wirtschaftsministerium sah sich zu einer Klarstellung gezwungen. Minister Peter Mandelson hatte in seinem Korfu-Urlaub ausrechnet Saif al-Islam Gaddafi getroffen, den Sohn des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi. Dieses Treffen kurz vor Bekanntwerden der möglichen Freilassung sei aber reiner Zufall gewesen und habe mit der Entscheidung über den libyschen Attentäter nichts zu tun. Zudem sei es völlig angemessen, wenn der Wirtschaftsminister mit Gaddafi Handelsfragen zwischen Großbritannien und Libyen erörtere.
Überhaupt haben sich die Verhältnisse zwischen dem Königreich und dem Land, das formell die Schuld für den Anschlag übernommen hatte, stark gewandelt. So hat Prinz Andrew, der Bruder von Thronfolger Prinz Charles, das einst als Schurkenstaat eingestufte Land nach Angaben des Palastes vier Mal in den vergangenen zwei Jahren besucht. Dabei habe er auch die Gaddafis getroffen.
Quelle: ntv.de, dpa