Waffen, die nie aufhören zu töten Werden Streubomben verboten?
19.05.2008, 10:47 UhrIm Traum holt das Grauen den jungen Afghanen Soraj oft ein: Er spielt am Rande eines Familien-Picknicks mit einem Cousin. Eine Explosion zerreißt die Idylle. Der Cousin stirbt blutüberströmt. Soraj werden die Beine abgerissen. Der Junge war zehn Jahre, als er zum Opfer von Streumunition wurde. Sein Schicksal teilt er mit Tausenden, denen ähnliches widerfuhr. Am kommenden Montag (19. Mai) will Soraj darüber auf einer Konferenz in Dublin mit Vertretern von mehr als 100 Staaten berichten. Dabei soll endlich ein Durchbruch zu einem weltweiten Verbot von Streubomben erreicht werden, die Experten als "die heimtückischsten Waffen unserer Zeit" bezeichnen.
Doch es gibt Widerstand. Vor allem die USA versuchten, ein verbindliches Verbot von Streumunition "ganz zu verhindern oder ein Abkommen stark zu verwässern", sagt Francois De Keersmaeker, Geschäftsführer der Hilfsorganisation für Menschen mit Behinderungen Handicap International. Sie gehört zu den zahlreichen Mitgliedern der weltweiten Kampagne gegen Streubomben (CMC).
Tödliche Gefahr in 30 Ländern
Eine tödliche Gefahr sind solche Bomben derzeit für Menschen in rund 30 Ländern. "Fast 98 Prozent der bekannten Opfer stammen aus der Zivilbevölkerung, ein Viertel von ihnen sind Kinder", sagt De Keersmaeker. Streubomben verteilen hunderte Explosivkörper über riesige Flächen, wo sie wahllos töten.
Was sie besonders für Zivilisten gefährlich macht, ist die hohe Blindgängerrate. Kritiker schätzen, dass bis zu 40 Prozent der Streumunition zunächst nicht explodiert. Blindgänger bleiben auf Äckern und Wiesen oder am Straßenrand liegen, verfangen sich in Bäumen oder Büschen und "warten" auf Opfer, die versehentlich durch Berührung ihre tödliche Gewalt wecken.
"Streubomben sind Waffen, die nie mit dem Töten aufhören", sagt Jakob Kellenberger, der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Deutschland steht mit an der Spitze jener Länder, die für ein Verbot durch ein internationales Abkommen nach dem Vorbild der Ächtung von Antipersonenminen eintreten.
Konferenz in Dublin
Über den konkreten Text wird nun in Dublin verhandelt. Bis zum 30. Mai soll er vorliegen. Hinter den Kulissen der Konferenz könnte es hoch hergehen. Die USA, die in den letzten Monaten Diplomaten ausschwärmen ließen, um Teilnehmer von der Unterstützung für ein Totalverbot abzubringen, sind freilich nicht die einzigen, die eine "anhaltende militärische Notwendigkeit" für Streumunition geltend machen. Auch Russland, China, Indien, Pakistan und Israel wollen diese Waffen weiter produzieren dürfen.
Dabei hat erst 2006 der israelische Feldzug im Libanon die Gefährlichkeit solcher Munition für Zivilisten demonstriert. Zudem hat die israelische Luftwaffe nach Schätzungen der US-Organisation Human Rights Watch im Libanon mehr als eine Million Streubomben- Blindgänger zurückgelassen. "Die von Israel produzierte Munition hat eine Blindgängerquote von etwa zehn Prozent", sagt De Keersmaeker. "Und über solche Munition, die teils in Lizenz hergestellt wurde, verfügt auch die Bundeswehr."
Ziel der vollständigen Abrüstung
Allerdings hat sich Deutschland schon frühzeitig zum Ziel der vollständigen Abrüstung von Streumunition bekannt. Die Initiative dazu war von Norwegen ausgegangen, wo im Februar 2007 zunächst 46 Staaten in Oslo darüber berieten. Kurz danach danach begrüßte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Einigung der Teilnehmer in Oslo, bis Ende 2008 ein Verbotsabkommen zu erreichen.
Die Bundeswehr ging nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt bereits dazu über, Streumunition zu vernichten, deren vermutete Blindgängerrate höher als ein Prozent liegt. Für die Verhandlungen in Dublin hat Berlin einen Dreistufen-Plan vorgelegt, den nach Angaben deutscher Diplomaten zahlreiche Länder unterstützen.
Schutz der Zivilbevölkerung
Er sieht als Sofortmaßnahme vor, die Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung zu stärken, indem Streumunition mit einer höheren Blindgängerrate als ein Prozent umgehend geächtet wird. Danach sollen - unter Umständen mit längeren Übergangsfristen - ein globales Verbot und die Vernichtung aller derartigen Waffen folgen. Und schließlich soll parallel die Hilfe für Opfer wie Soraj verstärkt werden. Nachdem er von einer Streubombe zum Krüppel gemacht wurde, sagte der heute 18-Jährige, "war unser Familie nie mehr wie früher". Sein größter Wunsch ist es, trotz seiner Behinderung eine Arbeit zu finden.
Von Thomas Burmeister, dpa
Quelle: ntv.de