Dossier

Die Armut wird sichtbar Winter in Polen

Wenn die Temperaturen in Polen im Spätherbst stetig sinken, dann verlassen die Armen die Straßen mehr und mehr. Die Härten des Lebens dagegen werden für sie nun noch spürbarer, weil Wohnung und Herd kalt bleiben. Obwohl der Bauboom in der Hauptstadt Warschau von Aufschwung und Wachstum zeugt -tausende Menschen sind von der Entwicklung ausgeschlossen.

Sieben der zehn ärmsten Regionen der EU befinden sich in Polen, vor allem im Süden und Osten des Landes. Laut Statistik leben 45 Prozent der Polen am Rand des Existenzminimums. Nach einer Studie der Weltbank ist Polen eines der wenigen Länder Ostmitteleuropas, in denen die soziale Kluft zwischen neuem Wohlstand und Verarmung größer geworden ist.

Zum Beispiel Masuren. Mit seinen Wäldern und malerischen Seen weckt die Region im einstigen Ostpreußen bei vielen deutschen Touristen Kindheitserinnerungen. Doch die Saison ist kurz, und auf wenige Orte begrenzt. Auf den ehemaligen Staatsgütern, nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Besitz adeliger Großgrundbesitzer entstanden und nach 1989 bankrott gegangen, sind zahlreiche Menschen seit 17 Jahren ohne Arbeit. Junge Leute fliehen in die Städte oder ins Ausland. Zurück bleiben die Alten, die Kinder und die Gescheiterten, die nicht einmal mehr die Energie zum Weggehen haben.

Arbeitslosenunterstützung haben sie seit Jahren nicht mehr bekommen, den verarmten Gemeinden fehlt das Geld für Aufbauprogramme. Vom Frühjahr bis spät in den Herbst stehen deshalb vor allem die Frauen auf der Landstraße, verkaufen Beeren, Pilze, Früchte, um wenigstens ein paar Zloty von dem zu verdienen, was in Wäldern und Gärten gesammelt werden kann.

In den Großstädten dagegen sind an den Ausfahrtstraßen immer mehr Kinder und Jugendliche zu sehen, die an Ampelkreuzungen auf stehende Fahrzeuge zulaufen und die Windschutzscheibe in der Hoffnung auf ein Almosen putzen. Rentner verkaufen an Straßenecken Schnürsenkel und andere Kleinigkeiten, um mit dem bescheidenen Gewinn die kleine Rente aufzubessern.

"Ich kann mich nicht daran erinnern, dass meine Mutter jemals mehr als 30 Zloty (knapp acht Euro) im Portemonnaie hatte", beschreibt etwa die 17-jährige Aneta aus dem nordpolnischen Tczew die desolate Lage ihrer Familie. "Aber irgendwie leben wir halt doch." Das Irgendwie bedeutet Kleidung aus dem Lumpenhandel und oft der Verzicht auf eine warme Mahlzeit. Von Kinobesuchen, Kosmetik oder modischen Turnschuhen können Jugendliche wie Aneta nur träumen.

Es sind Verhältnisse wie diese, die die Polnische Humanitäre Aktion (PAH) 1998 zur Aktion Pajacyk (Hampelmann) bewogen hat. Der hölzerne Hampelmann ist nicht nur das Symbol einer Hungerseite im Internet, sondern für tausende Kinder ein Stück Hoffnung. Sie erhalten eine kostenlose Schulspeisung – für die meisten von ihnen die einzige warme Mahlzeit am Tag. Dabei haben etwa im ländlichen Masuren viele Kinder einen Schulweg von mehr als zehn Kilometern, längst nicht alle werden von einem Schulbus abgeholt.


Lehrer klagen immer wieder über schwache, unkonzentrierte Kinder, die dem Unterricht nicht folgen können, weil sie oft nicht einmal ein Stück Brot zu essen hatten. In den vergangenen sieben Jahren verhalf die Aktion fast 30000 Kindern zur Schulspeisung. Angesichts des Klimas der Hoffnungslosigkeit in vielen Familien hören die Mitarbeiter der PHA immer wieder von Kindern, die Aussicht auf die warme Suppe sei für sie der einzige Grund, überhaupt noch in die Schule zu gehen.

Von Eva Krafczyk, dpa

Quelle: ntv.de

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