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Zwischenruf Afghanistan droht vollständiges Chaos

Einen vollständigen Rückzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan wird es wohl nicht geben.

Einen vollständigen Rückzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan wird es wohl nicht geben.

(Foto: dapd)

Zum zweiten Mal wird in Bonn über die Zukunft Afghanistans beraten. Die erste Konferenz 2001 sollte dem Land Stabilität, Demokratie und Entwicklung bringen. Davon ist Afghanistan mehr denn je entfernt. Zudem hat Pakistan seine Teilnahme abgesagt. Allein dies spiegelt das Dilemma wider: Der Konflikt ist noch lange nicht zu Ende. Ändern kann sich nur seine Form.

Wer erwartet hatte, dass Islamabad die Appelle aus Washington und Berlin trotz der 24 durch Nato-Hand getöteten Soldaten erhört, hat ganz offensichtlich keine Ahnung von internationalen Beziehungen. Pakistans Präsident Asif Ali Zardari kann seine Vertreter bei der Afghanistan-Konferenz in Bonn unmöglich mit Repräsentanten jener Staaten an einen Tisch setzen, die pakistanisches Hoheitsgebiet beschießen. Es sei denn, er und seine Regierung wollten daheim jegliche Glaubwürdigkeit verlieren. Die Folge des Überfalls, dem unzählige Angriffe auf die Zivilbevölkerung mit vielen Toten, darunter auch Kinder, vorangegangen waren, ist eine weitere dramatische Verschlechterung der Beziehungen zu den USA. Die Schließung der Nachschubwege für die Nato-Truppen über Pakistan kompliziert deren Versorgung, die paradoxerweise nun hauptsächlich über Russland und mittelasiatische GUS-Staaten abgewickelt wird. Ohne Pakistan, schon gar nicht gegen Pakistan, ist eine wie auch immer geartete Lösung des Konflikts schwerlich vorstellbar.

Eins Hoffnungsträger, jetzt Machtmensch: Hamid Karsai.

Eins Hoffnungsträger, jetzt Machtmensch: Hamid Karsai.

(Foto: dapd)

Die Teilnahme des Iran zeugt vom Willen der schiitischen Machthaber, vor sunnitischen Mudschaheddin und Taliban keinen Spielraum zu gewähren. Dem Iran kommt im Vergleich zu Pakistan aber nur eine nachgeordnete Rolle zu. Die schiitischen Hazara-Mudschaheddin haben längst nicht mehr das Gewicht wie in den neunziger Jahren; ein Teil von ihnen hat sich mit dem Regime von Präsident Hamid Karsai arrangiert.

Karsai selbst ist längst vom Hoffnungsträger zum Machtmenschen mutiert, der sich und seine Sippe nur dank einer Allianz mit Warlords und dem im westafghanischen Herat ansässigen Rat der Religionsgelehrten über Wasser hält. Ohne den international kaum bekannten Rat trifft Karsai kaum eine Grundsatzentscheidung. Viele der Mitglieder waren bereits unter der Talibandiktatur im Amt. Die schleichende Reislamisierung ist zu einem Gutteil auf die Machenschaften dieses "Wächterrates" zurückzuführen. Wer sich immer wieder auf Mädchen, die zur Schule gehen, und neuerrichtete Brunnen beruft, übersieht die Frauen in der Burka und die Scharia.

Das Gegenteil ist eingetreten

Karsais Machtbasis ist kleiner geworden seit der Ermordung des Tadschiken von Burhanuddin Rabbani, einst Präsident und unter Karsai Chef des sogenannten Friedensrates: Die Nordallianz, der hauptsächlich Tadschiken und Usbeken angehören, traut dem smarten Paschtunen nicht mehr über den Weg.

Wer Karsai auffordert, die Korruption zu bekämpfen, übersieht, dass die Korruption selbst eine der entscheidenden Säulen seiner Macht ist. Karsai, der sich durch eine fragwürdige Verfassungsänderung für eine weiter Amtszeit aufstellen lassen will, verlangt für sein Land nach 2014 fünf Milliarden Dollar Hilfsgelder pro Jahr. Das bedeutet, das Geld in ein Fass ohne Boden zu schütten. Es käme vielmehr darauf an, ein realistisches Konzept zur Wirtschaftsentwicklung zu entwerfen. Die Gasvorkommen im nordafghanischen Sheberghan waren einstmals das wichtigsten Ausfuhrgut des Landes. Heute ist es Opium. Zehn Jahre Krieg in Afghanistan haben das Gegenteil von dem bewirkt, was sich Nordallianz und US-Truppen beim Sturz der Taliban auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Das Schlimme ist: Nach dem Rückzug der ausländischen Truppen, der nie ein vollständiger Rückzug sein wird, droht nun das vollständige Chaos.

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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