Zwischenruf Auf Augenhöhe mit den USA
16.03.2009, 15:11 UhrArgentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Nicaragua, Paraguay, Uruguay, Venezuela. Und nun El Salvador. Die Liste der linksregierten Länder Lateinamerikas wird immer länger. Sicher: Sie bilden keinen in sich homogenen Block; manche wie Brasilien und Chile setzen weiter auf eine marktorientierte Wirtschaftspolitik. Andere wie Venezuela und Bolivien streben ein "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" genanntes Projekt an. Gleichwohl sind sich die Führungen dieser Staaten- in unterschiedlichem Maße - einig, dass eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen muss. Übereinstimmung besteht auch in dem Ziel, sich aus der Anhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu befreien und mit dem großen Nachbarn im Norden auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren.
Die Aufgabe, die vor Mauricio Funes als Sieger der Präsidentenwahlen steht, ist alles andere als einfach. El Salvador ist das kleinste der mittelamerikanischen Länder, hat aber mit die größten Probleme: Knapp die Hälfte der rund sieben Millionen Einwohner lebt unter der Armutsgrenze. Die Preise für die Hauptausfuhrgüter Kaffee und Zucker sind gefallen. Ohne die "remesas", die Überweisungen der 2,5 Millionen in den USA arbeitenden Salvadorianer in Höhe von 3,7 Milliarden Dollar (2007), könnte die Wirtschaft schwerlich überleben. Die Summe entspricht immerhin rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von El Salvador.
Funes will gleichberechtigtes Verhältnis zu den USA
Funes' Sieg ist mit 51 Prozent knapp ausgefallen. Das Land ist - wie andere in Lateinamerika - politisch gespalten. Der einstige Journalist des US-Fernsehsenders CNN ist der erste Kandidat der linken FMLN, der nicht aus der Guerilla stammt, aus der die Partei 1992 entstanden war. Er gilt als pragmatisch und steht deshalb eher dem brasilianischen Staatschef Jos Incio "Lula" da Silva näher als dessen venezolanischem Kollegen Hugo Chvez. Funes' Politik wird wesentlich davon geprägt sein, wie Wahlverlierer Rodrigo vila und dessen rechtsgerichtete ARENA-Partei auftreten. Radikale Opposition kann den Kurs von Funes radikalisieren. Zwar haben in der ARENA heuer nicht mehr jene Kräfte das Sagen, die 1980 für den Mord an Erzbischof scar Romero verantwortlich waren. Doch zum ersten Mal in seiner Geschichte wird das Land von einem Linken regiert. Dies kann rechtsradikale Kräfte wieder auf den Plan bringen. Ohne Unterstützung aus den USA wären diese aber zum Scheitern verurteilt.
Noch 2004 hatte Washington damit gedroht, die "remesas" einzufrieren, sollte der linke Präsidentschaftskandidat Schafik Handal, einst Chef der Kommunistischen Partei, gewinnen. Handal unterlag damals mit nur 36 Prozent der Stimmen, die ARENA trug mit 58 Prozent den Sieg davon. Funes will ein gleichberechtigtes Verhältnis zu den USA. Eine Zuspitzung wäre allein schon deshalb gefährlich, weil der US-Dollar die Landeswährung Coln praktisch ersetzt hat.
Eine eindeutige Neubestimmung der US-Politik gegenüber dem einstigen Hinterhof nach Amtsantritt von Barack Obama steht noch aus. In Ansätzen ist erkennbar, dass die Vereinigten Staaten versuchen, zwischen den "gemäßigten" und "radikalen" Sozialisten zu differenzieren. Das ist legitim. Sollten die USA aber versuchen, wie dereinst unter George W. Bush offen die Opposition - in El Salvador und anderswo - zu unterstützen, so würde dies erstens einen Schulterschluss von San Salvador bis nach Santiago de Chile befördern und zweitens die Auseinandersetzungen in den betreffenden Staaten verschärfen. Sollte es Obama ernst meinen mit dem Wechsel, könnte ihm eine Phalanx sozial orientierter Regierungen südlich des Ro Grande außenpolitisch eigentlich den Rücken stärken.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de