Zwischenruf Brüderle und die Sternschnuppe
07.10.2010, 17:49 UhrArbeitsplätze in Deutschland attraktiv halten, um Wachstumschancen nutzen zu können: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle spricht sich angesichts der boomenden Wirtschaft im "Hamburger Abendblatt" für höhere Löhne in Deutschland aus - ein netter Versuch.

"Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich", sagt der FDP-Politiker dem "Hamburger Abendblatt".
(Foto: picture alliance / dpa)
Ausgerechnet ihm hätte es kaum einer zugetraut: Doch es ist der freidemokratische Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, der sich für Lohnerhöhungen ausspricht. Nicht für irgendwelche, sondern für "deutlich höhere". Das ist nur allzu gerecht, denn die Lohnentwicklung in Deutschland blieb über Jahre hinter der anderer entwickelter Industriestaaten zurück. Der Reallohn sank sogar - während die Unternehmensgewinne stiegen.
Der FDP-Mann hat ausgesprochen, was jeder, er selbst, sein Parteivorsitzender und auch die Mainstream-Ökonomen wussten, nur nicht aussprachen. Aus ideologischen Gründen, aber auch weil sie argumentierten, in Krisenzeiten wandere ein Mehr an Einkommen der Arbeitnehmer in den Sparstrumpf. Alle (regierende) Welt jubelte über den – mittlerweile verlorenen - deutschen Exportweltmeistertitel. Doch es ist eine Binsenweisheit, dass eine kräftige Binnennachfrage das wirtschaftliche Wachstum befördert. Umso mehr, als die deutschen Exporte nicht ganz unschuldig sind an Defiziten in Griechenland, Portugal und anderswo. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt lehnt den Vorstoß Brüderles rundweg ab. Richtig ist: Nicht überall wird ein Abschluss wie in der Stahlbranche möglich sein. Doch eine Orientierung könnte die Übereinkunft allemal sein.
Merkel hält fein still
Besser wäre es gewesen, Brüderle hätte die Forderung nach mehr Geld in der Lohntüte nicht im "Hamburger Abendblatt" erhoben, sondern am Ende einer Kabinettssitzung gemeinsam mit der Bundeskanzlerin verkündet. Das wäre keine Einmischung in die Tarifautonomie gewesen, sondern ein erlaubter Fingerzeig, wie man schneller aus dem Tal der Tränen herauskommt.
Doch Angela Merkel schweigt fein still. So hört es sich also an, wenn die Koalition mit einer Stimme spricht. Dafür macht Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs den Wadenbeißer und wirft dem Koalitionspartner "unzulässige Einmischung" in die Tarifpolitik vor. Ähnlich DGB-Chef Michael Sommer, der die Tarifautonomie beschwört. Ein seltsames Duett. So ist Brüderles Vorstoß nicht mehr als eine Sternschnuppe: Schön, aber schnell verpufft.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de