Zwischenruf Bundeswehr: Ist der Ruf erst ruiniert ...
01.02.2011, 15:13 UhrUnsere Truppe hat ein Problem. Merkwürdigkeiten zu Lande und zu Wasser häufen sich. Die Entschuldigung, die Bundeswehr widerspiegele nur die gesellschaftliche Realität außerhalb von Kasernenmauern und Schiffsplanken, kann man aber nicht gelten lassen.

Die Gorch Fock
(Foto: dpa)
Die, nennen wir sie, Zwischenfälle in der Bundeswehr nehmen zu. Auffällig ist, dass dies besonders seit Mitte der neunziger Jahre der Fall ist, jener Zeit also, in der die Bundesrepublik mit Auslandseinsätzen begann und sich schließlich an Kriegen beteiligte. Das Bewusstsein, im Ernstfall Gewalt anwenden zu müssen, ist unmittelbarer als zu Zeiten des Kalten Krieges, in denen jede der Seiten einschließlich ihrer Soldaten um die Risiko mindernde Funktion des "Gleichgewichts des Schreckens" wusste.
Die veränderte Rolle der Streitkräfte trägt auch dazu bei, dass, bittschön, Vorkommnisse aufmerksamer wahrgenommen werden als früher. In dem Maße, wie bei den Auslandseinsätzen gravierende Fehler mit Todesfolge für Zivilisten wie in Kundus begangen werden und sich die Sicherheitslage im Norden Afghanistans zuungunsten der Bundeswehr geändert hat, reagieren Vorgesetzte unsicher, versuchen zu vertuschen, bringen Bauernopfer dar. Der Rauswurf von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhahn durch Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sorgt bis auf den Tag für Unmut, auch in Teilen des Offizierskorps. Früher überstand ein oberster Bundeswehroffizier drei bis vier Minister, heuer scheint’s umgekehrt zu sein.
Soldaten sind keine Bierkutscher
Der Mauschelei über die wahren Ursachen des tödlichen Unfalls eines Soldaten während des Waffenreinigens (?) folgt nun in derselben Einheit in Masar-i-Sharif ein Streitfall, bei dem der Eine dem Anderen die Pistole an den Kopf hält. Auch zwei Bierkutscher mögen sich kabbeln, nur haben die im Regelfall keine Schusswaffen dabei. Wie viel Meuterei ist im Spiel, wenn sich die "Besatzung der Gorch Fock", gleich ob in ihrer Gesamtheit oder nur Teile, über ein Nachrichtenmagazin öffentlich über den Verteidigungsminister beschwert? Ist das die Kehrseite der Nutzung einer Tageszeitung als Hauspostille des Bendlerblocks?
Wie viel Protest ist dabei, wenn der Kommandant des Segelschulschiffes der Marine in Zivil von Bord geht, obwohl er ja nicht seinen militärischen Rang, sondern nur das Kommando über das Schiff verloren hat? Und das angeblich auch nur zeitweilig? Von welchem Geist ist die Stammbesatzung der "Gorch Fock" beseelt, wenn sie Kapitän zur See Norbert Schatz zum Abschied ein Transparent mit der Aufschrift "Ein Kommandant, eine Besatzung, ein Schiff" entrollt? Fällt niemandem auf, dass eine ähnliche Dreieinigkeit erstmals von Nazis gebraucht wurde, als sie sich Österreich einverleibten?
Niemand urteilt pauschal negativ über die Bundeswehr, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Zeitungsinterview unterstellt. Ebenso wenig kann das Argument gelten, die Bundeswehr widerspiegele ja auch nur die gesellschaftliche Realität außerhalb von Kasernenmauern und Schiffsplanken. Was für die Wehrpflichtigen gerade noch so angehen mag, ist für Teilnehmer an Auslandseinsätzen, Offiziere und Unteroffiziere einschließlich Anwärter jeglicher Art völlig inakzeptabel. Benannter Personenkreis erfüllt hoheitliche Aufgaben, selbst wenn diese umstritten sind, oder ist als Lehrkraft für junge Menschen verantwortlich, denen Waffen und scharfe Munition in die Hand gegeben werden. Letztere sind nicht dazu bestimmt, Stare aus dem Kirschbaum zu verjagen, sondern zu töten. Die Bundeswehr soll die Armee des demokratisch gewählten Parlaments sein. Dazu muss sie eine weiße Weste haben. Tauchen schwarze Flecken auf, kann man keinen Staat mehr damit machen.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de