Zwischenruf Chronik eines angekündigten Krieges
06.12.2010, 14:28 Uhr
"Kein Krieg": Demonstrantin im südkoreanischen Seoul.
(Foto: REUTERS)
Die Lage auf der koreanischen Halbinsel spitzt sich seit Wochen zu. Gefragt sind nun Washington und Peking und die Sechsergruppe. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Lage tatsächlich außer Kontrolle gerät.
Der Schlüssel zur Beendigung der seit Wochen zugespitzten Lage auf der koreanischen Halbinsel liegt bekanntlich in Washington und Peking. Wenn die Staatspräsidenten der beiden Hauptverbündeten der Konfliktparteien nun miteinander sprechen, unterstreicht dies den Ernst der Lage. Kontakte auf den Ebenen darunter haben mithin keine Fortschritte gebracht.
Wenn China, wie WikilLeaks kolportiert, das Regime in Pjöngjang als "verzogenes Kind" betracht, so muss man dem "Vater" gleichwohl einen beachtlichen Einfluss auf den Sprössling zubilligen. Seit dem Beschuss der Insel Yeonpyeong, der nach nordkoreanischer Lesart eine Antwort auf südkoreanische Granaten in Hoheitsgewässern des Nordens war, hält sich Diktator Kim Jong Il zurück.

Nordkoreas Diktator Kim Jong Il.
(Foto: dpa)
Seit mehr als zwei Wochen finden praktisch ununterbrochen südkoreanische Seemanöver statt, an denen sich immer wieder auch die US-Kriegsmarine beteiligt. Weitere militärische Provokationen des Nordens sind bislang ausgeblieben. Dies verstärkt den Eindruck, dass es sich bei dem Überfall auf die Insel um eine Demonstration von Macht und Entschlossenheit des designierten Thronfolgers Kim Jong Un handelte.
Die Forderung von Barack Obama, Amtskollege Hu Jintao möge das Vorgehen Nordkoreas verurteilen, ist schlechterdings Unsinn. Dies würde der Logik Pekings widersprechen und könnte in Pjöngjang unkontrollierbare Reaktionen auslösen. Auch wenn Nordkorea am Tropf des großen Bruders hängt, so ist das Land gleichwohl kein Marionettenregime.
Hus Forderung nach einer "ruhige(n) und vernünftige(n) Reaktion von allen Seiten" hingegen zielt darauf, sowohl den eigenen Verbündeten als auch dessen Gegner in die Schranken zu weisen. Was wäre, wenn China Kriegsschiffe zu gemeinsamen Übungen in nordkoreanische Hoheitsgewässer entsenden würde? Die Verkommenheit der nordkoreanischen Diktatur macht nicht jeden Schritt des Südens automatisch zu einer Friedensmission.
Unverständlich bleibt, warum Washington zurückhaltend auf den chinesischen Vorschlag reagiert, die Sechsergruppe einzuschalten. Dann säßen neben Nord- und Südkorea mit den USA, China, Japan und Russland jene Mächte an einem Tisch, die mittel- oder unmittelbar Verantwortung in der Region tragen. Die UN als Forum zu nutzen, ist aus Sicht Russlands, Chinas und Nordkoreas nicht akzeptabel, da die Weltorganisation formal Kriegspartei ist: Der Waffenstillstand von Panmunjeom wurde 1953 zwischen Nordkorea und den Vereinten Nationen, nicht den USA, geschlossen.
Sechsergespräche oder auch bilaterale Verhandlungen unter Beteiligung der USA und Chinas werden immer dringlicher. Je länger die eine oder die andere Seite den militärischen Knüppel schwingt, desto leichter kann es zu einer Konfrontation kommen, in der die Lage "außer Kontrolle gerät", wie China warnt. Das wäre dann, frei nach García Márquez, das Ende der Chronik eines angekündigten Krieges.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de