Der Mini-Doppelpass Deutschland robbt sich in die Realität
03.07.2014, 19:19 Uhr
Jeder fünfte in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. In Großstädten wie Berlin ist der Anteil besonders hoch.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Bundestag hebt die Optionspflicht für Kinder von Ausländern auf. Sie müssen sich künftig nicht mehr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Das ist ein wichtiger, aber sehr kleiner Schritt.
Deutschland lässt den Doppelpass zu. So könnte die Schlagzeile heißen. So darf sie aber nicht heißen. Der Bundestag hat das Staatsangehörigkeitsrecht geändert, leitet aber keinen konsequenten Kurswechsel ein. Das Parlament hat nicht beschlossen, dass Ausländer, die in Deutschland leben, beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ihren alten Pass grundsätzlich behalten dürfen. Das Parlament hat nur ein Detail geregelt: Die sogenannte Optionspflicht fällt weg.
Kinder von Ausländern, die in Deutschland zur Welt gekommen sind, müssen sich künftig nicht mehr für einen Pass entscheiden, sie dürfen Zeit ihres Lebens Bürger zweier Staaten sein. Das ist ein bedeutender Schritt. Den Realitäten in der deutschen Gesellschaft wird er allerdings nicht gerecht. Den Eltern dieser Kinder bleibt der Doppelpass weiterhin verwehrt, wenn sie nicht gerade unter eine der vielen absurden und diskriminierenden Ausnahmeregeln fallen. Schweizer, Iraner oder Israelis etwa dürfen Mehrstaatler sein. Türken nicht. Auch neue Einwanderer dürfen nicht auf den Doppelpass hoffen, egal wie gut sie integriert sind, egal wie lange sie in Deutschland leben. Erst ihre Kinder kommen in den Genuss, wenn sie in Deutschland geboren sind.
Aus der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts spricht eine ungeheure Skepsis, die kaum integrationsfördernd, geschweige denn einladend wirken kann. Vor allem aber ist diese Skepsis so unzeitgemäß, dass es kaum auszuhalten ist. In der Bundesrepublik leben mittlerweile 7,6 Millionen Ausländer. Jeder fünfte Mensch hat einen Migrationshintergrund. Hinzu kommen Deutsche, die im Ausland arbeiten oder Verwandte dort haben. Auch sie denken und fühlen über Landesgrenzen hinaus. Multikulturell zu sein, ist längst alltäglich.
Dass trotzdem nicht mehr möglich ist als das Aus für die Optionspflicht, liegt vor allem an der Union. Für sie gehört ein ausgeprägtes nationalstaatliches Denken noch immer zum Kern ihres konservativen Profils. Auch bei CDU und CSU hadern zwar immer mehr damit, und sei es nur aus wirtschaftlichen Gründen. Es gilt ja, Fachkräfte anzuwerben. Doch in der Union hallen noch immer allzu laut die Warnungen vor dem Diener zweier Herren nach. Eine absurde Warnung. Länder wie Kanada, die USA, Frankreich und Großbritannien machen längst vor, dass eine großzügige Doppelpassregelung keine Gefahr für die Nation darstellt. Im Gegenteil: Dort zeigt sich, dass sich Menschen schneller integrieren, wenn man sie nicht zu einer politisch und emotional vollkommen überhöhten Entscheidung zwingt.
Quelle: ntv.de