Zwischenruf 330 Die SPD verliert an Gesicht
31.03.2007, 14:29 UhrVon Manfred Bleskin
Ja, es gibt diese Tage. Sie kommen und gehen, und meist steckt man es lächelnd weg, und nichts ist passiert. Doch bei der SPD kommen solche Tage immer häufiger, es passiert immer mehr, und bald ist nirgendwo mehr Platz für ein wegsteckendes Lächeln. Weil man immer mehr an Gesicht verliert.
Mit ihrem Bekenntnis zu einer Unternehmenssteuerreform, die den Konzernen Riesengeschenke macht und dem Staatssäckel Riesenlöcher beschert, brüskiert die Partei den Großteil ihrer Wählerschaft. Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zufolge gehen dem Fiskus 100 Milliarden Euro verloren, wirtschaftsnahe Institute sprechen immerhin noch von 30 Milliarden. Zwar verbindet Bundesfinanzminister Peer Steinbrück mit dem Gesetz die Hoffnung, dass die Großunternehmen künftig nun ihre Steuern überwiegend im Inland und weniger jenseits unserer Grenzen entrichten. Doch dies bleibt Hoffnung. Es gibt immer noch mehr Länder, in denen der Steuersatz niedriger ist als in Deutschland. Frankreich – zum Beispiel – will die Unternehmensteuer, nicht zuletzt wegen der deutschen Pläne, auf 20 v. H. drücken. Die Unternehmensteuerreform k a n n mittelfristig mehr Geld in die öffentlichen Kassen spülen, muss es aber nicht.
Nicht alle Sozialdemokraten machen es so: In der Schweiz steht die SP an der Spitze der Widerständler gegen eine Unternehmensteuerreform. Ihrem deutschen Pendant hätte es gut zu Gesicht gestanden, (auch) den Arbeitnehmern ein Steuergeschenk zu machen, denn sie tragen immerhin den größten Teil zum Gesamtsteueraufkommen bei. Dies hätte trotz der erhöhten Mehrwertsteuer zu einer spürbaren Belebung der Binnennachfrage geführt und dem Staat g a r a n t i e r t mehr Geld gebracht, sogar von heute auf morgen. Trotz eines leichten Anstiegs des Konsums bleibt die vergleichsweise geringe Binnennachfrage immer noch die Achillesferse der deutschen Wirtschaft. Mehr Jobs würden so auch entstehen: Vier Fünftel der deutschen Arbeitsplätze produzieren für den Binnenmarkt. Hätte die SPD wenigstens zur Union gesagt, wir stimmen der Unternehmensteuerreform zu, wollen im Gegenzug aber einen flächendeckenden Mindestlohn, dann wäre dies ein Tauschgeschäft. Dies ist erstens in der Politik nicht unüblich, und hätte es der SPD zweitens ermöglicht, ihr Gesicht zu wahren. Doch dies lehnte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck jüngst erst im n-tv Talk "Unter den Linden 1" ab. Stattdessen verteidigte er seine Politik der kleinen Schritte und präsentierte die – durchaus richtige – Forderung nach einem Mindestlohn für die 850.000 Beschäftigten des Gebäudereinigungssektors als non plus ultra. Fraglich ist, ob die SPD nicht auch mit den Trippelschritten auf die Nase fliegt, denn den CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Sachsen wäre sogar dies zuviel.
So gewinnt man keine Wähler zurück. Und die hat die SPD bitter nötig. Dem Meinungsforschungsinstitut FORSA zufolge käme die Partei in dieser Woche nur noch auf 26 Prozent. Das ist zwar ein Punkt mehr als Anfang März, aber insgesamt befindet sich die SPD auf dem niedrigsten Stand seit der Bundestagswahl 2005: Damals fuhr sie mit 34,2 Prozent exakt nur einen Punkt weniger ein als CDU/CSU. Heute käme die Union auf 35 Prozent, ein Unterschied von fast zehn Prozent. Zur Erinnerung: Beim landesweiten Urnengang 2002 brachten es die Sozialdemokraten auf beachtliche 38,5 Prozent.
Bitter sieht es auch bei der Mitgliederzahl aus. 1980: eine Million, derzeit 570.000. Allein seit Amtsantritt der ersten Regierung Schröder wandten rund 200.000 Mitglieder ihr Gesicht von der ältesten Partei Deutschlands ab, im Gefolge der Großen Koalition gut 40.000. Vom Virus des Mitgliederschwunds sind auch andere Parteien betroffen, nur ist er bei den Sozialdemokraten überproportional heftig.
Punkten kann die SPD allerdings dort, wo sie auf den sozialen Putz haut: In Hessen gewinnt sie in dieser Woche laut einer Erhebung des Landesrundfunks fünf v. H. und kommt auf 34 Prozent. Die Christdemokraten müssen zehn Monate vor der Landtagswahl um ihre absolute Mehrheit bangen. Sicher: Bundesweit könnte die SPD mit der Andrea-Ypsilanti-Schocktherapie vielleicht nicht antreten, aber ein bisschen mehr rot stünde der guten, alten Tante gut zu Gesicht.
Quelle: ntv.de