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Zwischenruf Die Würde der Kinder ist unantastbar

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(Foto: picture-alliance/ dpa)

Man muss zweimal hinschauen, um es einmal nicht zu verstehen: Die Hartz-IV-Sätze für Kinder seien auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Methoden festgesetzt worden. Detlef Scheele, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales sagt das. Den sein Minister zur Verteidigung einer schreienden Ungerechtigkeit in die Stadt am Rhein entsandt hatte. Dabei hätte Olaf Scholz – sogar medienwirksam – zeigen können, wie ernst es seiner SPD mit der Rückbesinnung auf Soziales ist. Auch Familienministerin Ursula von der Leyen, die sonst keine Gelegenheit auslässt, um sich als das soziale Gewissen von Union und Nation zu präsentieren, fehlt zum Verhandlungsauftakt. 

Das ist so skandalös wie die Bestimmungen selbst. Schließlich geht es darum, ob die gesellschaftliche Position von annähernd zwei Millionen Kindern mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Sieht man sich die von Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden und Vereinen immer wieder angeprangerten Zustände an, wird man schwerlich finden, dass die Würde des Menschen nicht beeinträchtigt wird.

Kitas müssen am Montag mehr kochen, weil Kinder nach dem Wochenende daheim ausgehungert sind. Hunger ist – noch? -  kein breites gesellschaftliches Problem. Eine Schande bleibt es dennoch. Gleiches gilt, wenn Kinder im Winter Sommerkleidung und Sandalen tragen, sehnsüchtig auf die Eiskreme-Bude schauen, vom außerschulischen Leben abgeschnitten sind, weil die Eltern einfach kein Geld für den Sportverein oder die Klassenfahrt haben. Oder auf abgewetzten Stühlen sitzen und auf ausgelegenen Sofas schlafen, die immer wieder neu bezogen werden müssen, um ihre Flecken zu verdecken.

Armut lässt sich aber nur schwer verdecken. Die Kinder sind für ihr Leben gezeichnet. Sie sind die Reproduzenten von Armut. Sie tragen das Gen der Bildungsunlust durch die Generationen. Auf diese Weise entsteht und verfestigt sich eine soziale Schicht, die auf Dauer außerhalb des normalen Lebens steht. Dem Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge zufolge hat sich die Zahl der Kinder, die von staatlicher Hilfe leben, seit dem 31. Dezember 2004 allein bis März 2007 verdoppelt. Am 1. Januar 2005 waren die Hartz-IV-Gesetze in Kraft getreten. Ein schweres Erbe für die SPD. Doch schwerer noch wiegt das Schicksal der Kinder.

Die Judikative in Karlsruhe hat wieder einmal Gelegenheit zu korrigieren, was Legislative und Exekutive versaubeutelt haben. Die roten Roben sollten sich mit ihrem Spruch nicht wie üblich Monate Zeit lassen. Jeder Tag bedeutet für die Betroffenen einen Tag unter unwürdigen Verhältnissen. Die Würde darf laut Artikel 1. (1) GG nicht angetastet werden. Nicht einen Tag!

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Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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