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Zwischenruf EU-Speck für Serbien

Rechtzeitig vor den Parlamentswahlen in Serbien am 11. Mai hat die Europäische Union dem Land eine Beitrittsperspektive gegeben. Das ist allemal besser als die Strategie der Gemeinschaft zu Beginn der neunziger Jahre: Die Anerkennung der aus dem Zerfall des damaligen Jugoslawien hervorgegangenen Neustaaten trug nicht unwesentlich zu den diversen Bürgerkriegen bei.

Doch die Sache hat einen Pferdefuß: Im Vorfeld des Urnenganges soll das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das Präsident Boris Tadic in Brüssel unterzeichnet hat, als Köder für die Wähler dienen. Außenminister Vuk Jeremic sagt denn auch unumwunden, der Urnengang werde zu einem Referendum pro oder kontra Europäische Union. Ministerpräsident Vojislav Kostunica, einst zum Prowestler hochgejubelt, nur weil er sich gegen Slobodan Milosevic gestellt hatte, und obwohl er im Unterschied zu diesem engste Kontakte zu dem bis auf den Tag angeblich unauffindbaren Radovan Karadzic unterhielt, Kostunica also kündigte an, den Vertrag im Falle eines Wahlsiegs seiner Demokratischen DSS-Partei für ungültig zu erklären.

Wie der Urnengang ausgeht, ist schwer zu sagen. Möglich erscheint wie schon bei den Präsidentenwahlen ein hauchdünner Sieg der Pro-EU-Kräfte. Schon im Februar war weniger die Kosovo-Frage für das Resultat ausschlaggebend, denn vielmehr die Hoffnung auf eine Verbesserung des Lebensstandards durch Annäherung an Brüssel. Mit Speck fängt man Mäuse. Gewinnen hingegen die nationalistischen Kräfte um Kostunica und die Radikale Partei des Kriegsverbrechers Vojislav Seselj, dann Gott befohlen. Wie auch immer: Auch ein Wahlsieger-Tandem aus Tadic und Jeremic wird sich nicht mit der Herauslösung des Kosovo aus dem serbischen Staatsverband abfinden können. Schon gar nicht ein Kostunica. Der war erstmals in offenen Konflikt mit den jugoslawischen Kommunisten geraten, als sich diese dem Kosovo Anfang der Siebziger innerhalb der Sozialistischen Republik Serbien Autonomie gewährte.

Ein ungelöstes Kosovo-Problem wird einer Aufnahme Belgrads in die Gemeinschaft immer entgegenstehen. Ein Vergleich mit Zypern hinkt. Die von der Türkei besetzte Nordhälfte der Insel ist von keinem EU-Mitglied anerkannt. Das Kosovo hingegen wird von der Mehrheit der EU-Länder als eigenständiger Staat betrachtet. Ausnahmen bilden Mitglieder wie Spanien, die die einseitige Unabhängigkeitserklärung in Prishtine/Pristina zu Recht als Stimulus für die baskischen und katalanischen Separatisten betrachten. Mit der Anerkennung des Kosovo hat die EU selbst die Tür für eine Aufnahme Serbiens zugeschlagen. Das Assoziierungsabkommen ist mithin ein Rauchvorhang, der sich nicht zuletzt auch gegen Russland als engem Verbündeten Serbiens richtet.

Hätte Brüssel Belgrad nach dem Sturz von Milosevic eine Mitgliedschaft Serbiens unter Einschluss eines autonomen Kosovo angeboten, wäre eine Stabilisierung des Westbalkan möglich gewesen. So bleibt die Kiste weiter verfahren.

Quelle: ntv.de

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