Abstimmung im Netz Gefährlichstes Finanzprodukt gesucht
13.03.2013, 10:14 Uhr"Finanzprodukte erfüllen elementar wichtige Funktionen - etwa indem sie risikofreudige Anleger mit Unternehmen zusammenbringen, die etwas Neues wagen", schreibt der Europaabgeordnete Sven Giegold in einem Beitrag für n-tv.de. Allerdings müsse das Risiko transparent sein. Der Grünen-Politiker sucht "das gefährlichste Finanzprodukt Europas".
Von Sven Giegold

Sven Giegold ist Mitbegründer von Attac-Deutschland und sitzt seit 2009 für die deutschen Grünen im Europaparlament.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wie gefährlich Finanzprodukte sein können, offenbarte sich 2008. Nach der Pleite der Investmentbank Lehmann Brothers wurde der Blick frei auf undurchsichtige Kreditpakete, abenteuerliche Wetten und Ansteckungseffekte im Finanzsystem, die ganze Staaten in die Schuldenkrise und Volkswirtschaften in die Rezession stürzen können. Selbst Profis bekannten damals, die komplexen Finanzprodukte nicht mehr zu verstehen, mit denen sie da handelten. Bis heute tragen Bürger und öffentliche Haushalte an den Kosten der Billionenrettung, mit der ein Kollaps des Finanzsystems gestoppt werden konnte.
Die Lehre für die Politik ist klar. Finanzprodukte erfüllen elementar wichtige Funktionen - etwa indem sie risikofreudige Anleger mit Unternehmen zusammenbringen, die etwas Neues wagen. Doch das System funktioniert nur, wenn diejenigen, die die Risiken tragen, diese bewusst eingehen. Für Investoren muss transparent sein, welche Risiken sie tragen, und Risiken müssen fair vergütet werden. Sonst kommt es zum Marktversagen. Andere Finanzprodukte sind aus anderen Gründen gefährlich: Für die erwirtschaftete Rendite zahlen die Allgemeinheit oder unbeteiligte Dritte, etwa wenn Fonds in klimaschädliche Ölsande oder preistreibende Nahrungsmittelspekulation investieren. Grundsätzlich formuliert: Finanzmärkte sind nachhaltig und verbraucherfreundlich zu gestalten und in den Dienst der Realwirtschaft zu stellen. Dieser in der öffentlichen Debatte nach 2008 erreichte Konsens muss bis heute in der Praxis noch umgesetzt werden.
Inzwischen hat Europa den Rahmen reformiert, in dem Finanzgeschäfte stattfinden. So hat man beispielsweise 2012 ungedeckte Leerverkäufe von Aktien, Anleihen und Kreditausfallversicherungen weitestgehend verboten - und damit eine aberwitzige Form des Wettens mit Anlagen, auf die man nicht einmal Zugriff hat. Weit wichtiger noch: Im Laufe dieses Jahres werden die neu geschaffenen europäischen Finanzbehörden in der Lage sein, gefährliche Produkte vom Markt zu nehmen - eine Befugnis, die das Europaparlament für sie noch durchsetzen muss. Immerhin können sie schon heute gefährliche Finanzprodukte identifizieren, vor ihnen europaweit warnen und sie der EU-Kommission zum Verbot vorschlagen.
Die Erfahrung lehrt allerdings: Fehlt der Druck der Verbraucher und der Zivilgesellschaft, droht eine notwendige Regulierung von Finanzprodukten verschleppt zu werden. Wenn die neuen europäischen Behörden im Interesse der Bürger einer bestens ausgestatteten Finanzlobby gegenübertreten, müssen sie eine kritische Öffentlichkeit hinter sich wissen.
Daher habe ich Anfang Januar den Wettbewerb "Europa sucht das gefährlichste Finanzprodukt" gestartet. Wohlgemerkt geht es hier nicht darum, das Eingehen von Risiken zu diskreditieren oder zu verbieten. Doch sollten unfaire Produkte identifiziert werden, die Risiken zu Lasten der Bürger und Verbraucher, der Staatshaushalte und der Umwelt verschleiern und auf fremde Schultern verlagern. Finanzexperten, Investoren und Organisationen haben uns auf über 50 Produkte hingewiesen, die anderen oder den Anlegern Schaden zufügen. Eine Expertenjury hat die Vorschläge bewertet und acht Produkte für die Endabstimmung nominiert.
In der Kategorie "Anlegerschutz" finden sich unter anderem "Fremdwährungskredite mit endfälligem Tilgungsträger". Diese hoch riskanten Darlehen brachten vor allem Privathaushalte in Osteuropa in Bedrängnis. Bis heute müssen beispielsweise zehntausende ungarische Familien die Zwangsversteigerung ihrer Häuser fürchten.
Ein Produkt der Deutschen Bank ist in der Kategorie "Umwelt und Soziales" nominiert. Spekulative Nahrungsmittelfonds wie der DB Platinum Agriculture Euro R1C stehen im Verdacht, Preise für Grundnahrungsmittel künstlich in die in die Höhe zu treiben. Alternativlos sind solche Geschäfte nicht. Auch auf öffentlichen Druck kündigten jüngst französische Banken an, aus der Nahrungsmittelspekulation auszusteigen. Nominiert ist auch die "Aktienanleihe", da der Begriff der Anleihe intransparent macht, dass im schlechten Fall kein Anspruch auf Rückzahlung besteht.
Die Abstimmung läuft noch bis zum 14. März. Der Chef Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) wird diejenigen in Paris empfangen, deren Vorschlag sich am Ende durchsetzt. Je mehr Menschen sich dann an der Abstimmung beteiligt haben, desto stärker können sie ihre Anliegen bei der ESMA geltend machen. Die Bürger sollten sich einmischen, wenn EU-Behörden künftig Anlagevehikel überprüfen. Wie die Geschichte lehrt, gehen uns Finanzprodukte mehr an, als uns lieb sein kann.
Quelle: ntv.de