
Die Plätze von Gauland und Meuthen auf dem Parteitag in Kalkar.
(Foto: picture alliance/dpa)
Eine Brandrede von Bundessprecher Meuthen lässt auf dem AfD-Parteitag die Wut hochkochen. Beide Lager, westdeutsche Nationalliberale und die Flügel-Sympathisanten, liefern sich einen vielsagenden Schlagabtausch: In der AfD liegen die Nerven angesichts mauer Perspektiven blank.
Nach wenigen Wochen der Ruhe finden sich die zwei Strömungen der AfD auf ihrem Parteitag in einem unerwartet heftigen Ehestreit wieder. Es zerbricht reichlich Porzellan in Kalkar und damit auch die Hoffnung vieler Mitglieder auf eine baldige Befriedung der Partei. Es droht mal wieder das Aus der einstigen Liebe zwischen den Nationalliberalen aus dem Westen und Sozialnationalen aus dem Osten. Das unwahrscheinliche Paar war euphorisch gestartet, eroberte alle Parlamente und wurde zweitstärkste Kraft in den neuen Bundesländern. Nichts schien dieses patriotische Gespann aufhalten zu können, wo doch die Zustimmungswerte nur eine Richtung kannten, nämlich nach oben.
Aus und vorbei: "Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und sehr bald, oder wir werden in naher Zukunft in sehr, sehr schwere See geraten." Das sagte nicht irgendwer und auch nicht irgendwo: Es war Jörg Meuthen, einer von zwei Bundesvorsitzenden und mächtigster Vertreter des nationalliberalen, mehrheitlich westlichen Flügels. Und er sagte - besser: rief - diesen Satz auf einem Bundesparteitag, der doch ursprünglich ein Signal des Aufbruchs ins Land und in die Partei senden sollte.
Die Grünen sind der Macht näher als die AfD
Statt Aufbruchstimmung herrscht Abstiegsangst: Letzten Umfragen zufolge kann sich die AfD, derzeit Oppositionsführerin im Bundestag, nicht einmal mehr sicher sein, im Herbst nächsten Jahres erneut ins höchste deutsche Parlament einzuziehen. Anstatt selbst das Land zu verändern, muss sich die AfD darauf gefasst machen, dass die ihr so verhassten Grünen bald das Land regieren. Und zwar ausgerechnet mit der Union nach Merkel - der Partei, die aus AfD-Sicht am ehesten eines Tages Koalitionspartner hätte sein können. Doch solch ein Bündnis ist unwahrscheinlicher denn je. Welch eine Kränkung!
Die AfD findet sich im Herbst 2020, fast sieben Jahre nach ihrer Gründung und fünf Jahre nach dem Stimmgaranten Flüchtlingskrise, permanent am Abgrund der Spaltung wieder. Die Verliebten von einst verstehen einander schon länger als Zweckehe, doch eben dieser Zweck ist beiden immer unklarer: Die AfD hat weder eine Perspektive auf eine Regierungsbeteiligung, noch darauf, die dominierenden Parteien der Mitte aus einer starken Oppositionsrolle heraus vor sich herzutreiben. Stattdessen hat die Partei den Verfassungsschutz im Nacken. Die sich selbst als bürgerlich verstehenden Mitglieder leiden an ihrer Rolle als von der Mehrheitsgesellschaft Geschmähte.
Zwei Kurse, zwei Meinungen
Vor diesem Hintergrund erklärt sich die heftige Attacke von Jörg Meuthen auf die "enthemmte" Bundestagsfraktion. Meuthen sagte deutlich, dass dieser Kurs seines Erachtens Wähler verprelle. Der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, der sich selbst zugute hält, die unterschiedlichen Lager bislang zusammengehalten zu haben, nannte die Rede "spalterisch". Dagegen machten viele Delegierte, die offenkundig mit dem östlich geprägten sozialnationalen Flügel sympathisieren, in ihren Reden deutlich, dass die AfD nur mit einer möglichst radikalen Haltung Erfolg haben könne. Sie wittern bei den Coronapolitik-Gegnern eine Chance für ihre Partei.
Beide Seiten irren: Das Wählerpotenzial für eine rechtsradikale Partei in Deutschland ist momentan begrenzt. Nachdem sich die Untergangsszenarien der Flüchtlingskrisenjahre 2015 und 2016 nicht bewahrheitet haben, verfängt das wichtigste Mobilisierungsthema der AfD nicht mehr in gleichem Maße. Der parlamentarische Arm der Querdenker zu sein, verleiht ihr bislang auch keinen Rückenwind.
So hat die Partei das vorläufige Ende eines Weges erreicht, der sie an die Spitze der Republik führen sollte, sich aber als Sackgasse entpuppt. Ratlos liefern sich die beiden Lager nun einen Pärchenzwist über den richtigen Weg und kränken einander Schuldzuweisungen. So etwas endet nicht selten damit, dass einer wütend aussteigt und der andere allein weiterfährt. Es wirkt aber - da haben seine Kritiker Recht -, als hätte Meuthen es genau darauf angelegt.
Quelle: ntv.de