
Meuthen griff die Corona-Politik seiner Bundestagsfraktion überraschend deutlich an.
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Bundessprecher Meuthen präsentiert sich kämpferisch auf dem Parteitag seiner tief gespaltenen AfD: Er rügt das Auftreten der Bundestagsfraktion in der Corona-Debatte, wendet sich gegen NS-Vergleiche und Bündnisse mit Querdenkern. AfD-Fraktionschef Gauland nennt die Rede "spalterisch".
Zum Auftakt des AfD-Bundesparteitags im nordrhein-westfälischen Kalkar hat Co-Bundessprecher Jörg Meuthen dem rechten Lager seiner Partei schwere Vorwürfe gemacht. "Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer derber, immer aggressiver, immer enthemmter auftreten, so geht das nicht", rief Meuthen in einer leidenschaftlich vorgetragenen Rede, die im Saal mit Applaus und Buhrufen quittiert wurde. Der Europaabgeordnete Meuthen kritisierte dabei explizit das Auftreten der Bundestagsfraktion in der Debatte um das Infektionsschutzgesetz sowie das Bündnis vieler Funktionäre mit den Gegner der Corona-Maßnahmen in der Querdenker-Bewegung.
Meuthen forderte eine "sachgerechte Wortwahl" in der Auseinandersetzung mit der Corona-Politik von Bund und Ländern ein. "Dazu darf man auch kräftige Worte der Kritik verwenden", sagte Meuthen. "Ist es wirklich klug von einer Corona-Diktatur zu sprechen?", fragte er aber auch. "Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag heute so nicht abhalten." Auch der von vielen AfD-Vertretern erhobene Vergleich zwischen der Novelle des Infektionsschutzgesetzes und dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten sei unangemessen. Meuthen sprach von einer "impliziten Verharmlosung der Untaten jener finsteren Zeit".
Keine Begeisterung bei Gauland und Co.
Meuthen machte diese Strategie auch für den Niedergang der Partei in den Umfragen verantwortlich. "Wegen solcher Vorkommnisse wählen uns viele Leute nicht mehr", sagte der Bundessprecher. "Entweder wir kriegen hier die Kurve, und zwar sehr entschlossen und sehr bald", warnte Meuthen, "oder wir werden in naher Zukunft in sehr, sehr schwere See geraten." Dem jüngsten RTL/ntv-Trendbarometer zufolge liegt die AfD bei nur noch sieben Prozent, dem schwächsten Wert sein Juli 2017.
Die Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland und Alice Weidel sowie sein Co-Bundessprecher Tino Chrupalla applaudierten ihrem Bundessprecher kaum. Meuthen hatte gegen deren Willen und gegen den sogenannten Flügel um Thüringens AfD-Chef Björn Höcke den Rausschmiss von Andreas Kalbitz wegen dessen rechtsextremer Vergangenheit vorangetrieben.
Im Gespräch mit Phoenix reagierte Gauland scharf: "Irgendwelche Zensuren von Jörg Meuthen für die Fraktionsführung kann und werde ich nicht akzeptieren", sagte er. Die Vorwürfe seien "nicht wahr, die Fraktion prollt nicht herum". Gauland warf Meuthen eine "Verbeugung vor dem Verfassungsschutz" vor. "Wir müssen gegen den Verfassungsschutz kämpfen", so Gauland. Teile der Meuthen-Rede seien "spalterisch" gewesen, er habe damit vielen im Plenum "vor den Kopf gestoßen". "Es ist einfach wirklich lächerlich, dass wenn man dieses Wort Corona-Diktatur gebraucht, dass man damit schon die Verfassung gefährdet."
Meuthen verteidigte seinen Kurs: Wer sich "in Wort und Tat tüchtig daneben" benehme, um hernach die Einigkeit der AfD einzufordern, nehme die Partei "in Kollektivhaftung für das eigene Fehlverhalten", sagte er. "Lassen wir ruhig die im Regen stehen, die nur allzu gerne rumkrakeelen und rumprollen", rief er. "Verweigern wir diesen Leuten die Geschlossenheit."
Gegen "Revolution oder Politikkasperle"
Meuthen forderte die AfD auf, sich dem Land als "seriöse politische Alternative" anzubieten. "Was wir brauchen und ganz schnell lernen müssen, ist deswegen Disziplin", sagte Meuthen. "Wer also gerne weiterhin Revolution oder Politikkasperle spielen will, kann das gerne woanders tun, aber nicht in der AfD." Während grob die Hälfte der mehr als 500 Delegierten sich am Ende zum stehenden Applaus erhob, klatschten viele gar nicht oder reagierten mit Pfui- und Buh-Rufen. Auch Chrupalla, Gauland und Weidel blieben sitzen.
Im Zentrum des Parteitags steht die Debatte über ein Sozialstaats- und Rentenkonzept der AfD, dem eine langwierige Verhandlung der verschiedenen Lager vorangegangen war. Dieses setzt unter anderem auf einen deutlichen Anstieg der Geburtenrate. Allerdings versucht es auch die eher wirtschaftsliberalen Vorstellungen des Meuthen-Lagers und die Forderungen nach einem starken Sozialstaat der Ost-AfD zusammenzubringen.
Es wird auch mit Blick auf die zahlreichen Änderungsanträge erwartet, dass die Partei intensiv über den Leitantrag diskutieren wird, wobei Meuthen wiederholt ins Visier seiner zahlreichen Gegner geraten dürfte.
Der Parteitag, der unter strengen Hygienevorschriften in der Messehalle eines Freizeitparks stattfindet, dauert noch bis Sonntag an. Die Polizei ist mit mehreren hundert Einsatzkräften vor Ort. Sie sollen sowohl den Verlauf des Bundesparteitags als auch den der angemeldeten Gegendemonstrationen gewährleisten. Proteste gegen die Politik der AfD gab es bereits am Freitagnachmittag. Für Samstag wurde eine Kundgebung mit rund 1000 Teilnehmern erwartet.
Quelle: ntv.de, mit AFP