Zwischenruf "Jobwunder" kostet Geld
21.04.2010, 15:46 Uhr
Rainer Brüderle sieht ein "Jobwunder". Doch ist es das wirklich?
(Foto: dpa)
"Deutschland wächst wieder", es gibt "ein kleines Jobwunder". Die zentralen Botschaften der Frühjahrsprojektion des Bundeswirtschaftsministers klingen optimistisch, spiegeln die Realität aber nur verzerrt wider. Rainer Brüderle lehnt sich an die Frühjahrprognose der führenden Wirtschaftsprofessoren an. Doch es gibt eben auch die Vorhersage der Boston Consulting Group, die davon spricht, dass das prognostizierte Wachstum nicht ausreicht, die Arbeitslosigkeit spürbar abzubauen. Im Gegenteil: Sinkende Nachfrage nach deutschen Erzeugnissen im Ausland könnte dazu führen, dass in den nächsten Jahren im Automobil- und Maschinenbau sowie in der der Chemie und der Elektrotechnik rund eine Viertelmillion Arbeitsplätze wegfallen.
Ein Wachstum, das keine Jobs schafft, ist kein Wachstum. Aber auch Wachstum kann trügen. Der Bau eines Pkw trägt ebenso zur Steigerung des Bruttoinlandsproduktes bei wie die Behandlungs- und Reparaturkosten nach einem Unfall oder die Beseitigung ausgelaufenen Benzins, wie der SPD-Umweltpolitiker Michael Müller zu Recht feststellt. Wachstum ist wie Wirtschaft ist kein Selbstzweck, Gewinn nicht das ausschließliche Kriterium für Erfolg. Ebenso, wie sich Wachstum in Zeiten des Klimawandels nicht an traditionellen Maßstäben bemessen lassen kann.
Unbestritten ist, dass der deutsche Arbeitsmarkt im Vergleich zu dem anderer Staaten inner- und außerhalb Europas besser dasteht. Das Kurzarbeitergeld tut seine Wirkung und wird es nach den heutigen Beschlüssen des Bundeskabinetts auch weiter tun. Doch das Kurzarbeitergeld kann nicht unbegrenzt weitergezahlt werden. Wenn Kurzarbeitergeld eine Beschäftigungsbrücke sein soll, ist sie im rauen Wind der Konjunktur starken Schwankungen ausgesetzt: Es ist keinesfalls sicher, dass die Betroffenen nach Wegfall der Zahlungen wieder eingestellt werden. Das "kleine Jobwunder" erweist sich als wundersamer, zumindest aber verkürzter Blick auf die Realität. Denn wegen der Fortzahlung des Kurzarbeitergeldes haben die Deutschen unterm Strich weniger Geld in der Tasche. Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde hat Recht, wenn sie, obzwar aus anderen Gründen, fordert, die Binnennachfrage in Deutschland zu stärken. Die von ifo-Chef Hans-Werner Sinn dazu vorgeschlagene Ausweitung des Niedriglohnsektors allerdings würde in eine Sackgasse führen. Damit würde die Spaltung der Gesellschaft, vor der auch die Bundeskanzlerin warnt, weiter vertieft. Allein: Der Warnung sollten Taten der Umverteilung folgen. Dann würde Deutschland über sich hinauswachsen, und es gäbe ein großes Jobwunder.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de