Strategie für Afghanistan Jung muss kämpfen
09.10.2008, 10:59 UhrDie Quote ist nicht gut. 33 Zivilisten und 22 Aufständische kamen laut Pentagon bei einem Luftangriff am 22. August in der westafghanischen Provinz Herat ums Leben. Gegen das Kriegsrecht habe man nicht verstoßen, betont Luftwaffengeneral Michael Callan, der die Untersuchung geleitet hat. Möglicherweise hat er sogar Recht. Doch darum geht es gar nicht.
Die Strategie der USA ist: Erst müssen die Taliban besiegt werden, dann kann das Land aufgebaut werden. Doch ein militärischer Sieg über die Taliban ist nicht möglich. "Wir werden diesen Krieg nicht gewinnen", hat der britische Befehlshaber in Afghanistan, Brigadegeneral Mark Carleton-Smith, erkannt.
Deutschland hat eine andere Strategie: Eine Befriedung Afghanistans kann nur im Rahmen eines zivilen Wiederaufbaus gelingen. Und dieser Wiederaufbau ist nur möglich, wenn er militärisch abgesichert wird. Jetzt debattiert die NATO über das richtige Vorgehen im Kampf gegen den Schlafmohnanbau. Die USA und Großbritannien fordern, dass die ISAF die Drogenproduktion nicht länger ignoriert. Mohnfelder sollen zwar nicht niedergebrannt werden, doch ISAF-Soldaten sollen Drogenlabors zerstören und den Handel unterbinden. Deutschland ist aus gutem Grund skeptisch. ISAF-Soldaten würden stärker als bislang in Kampfhandlungen verwickelt.
Doch es reicht nicht, die richtige Strategie zu haben. Man muss sie umsetzen und im Bündnis dafür kämpfen. Zu Recht sagt der Grüne Winfried Nachtwei, es sei "skandalös", dass es bislang nicht einmal eine Bedarfseinschätzung für den Norden Afghanistans gibt, in dem Deutschland federführend ist. "Wir müssen klare Ziel- und Zeitvorstellungen entwickeln, bis wann wir eine Verantwortungsübergabe im Sicherheitsbereich und damit auch eine Abzugsperspektive hinkriegen wollen", fordert Nachtwei.
Der zweite Skandal lässt sich beziffern. Das neue Afghanistan-Mandat wird laut Bundesregierung 688,1 Millionen Euro kosten. Für den zivilen Wiederaufbau wird die Bundesregierung 2009 aber nur 140 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das ist ein krasses Missverhältnis. Afghanistan brauche "mehr Manpower, mehr Ressourcen, mehr Konsequenz, mehr Kontinuität", sagt der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Berhard Gertz.
Über die richtige Art der Drogenbekämpfung in Afghanistan kann man streiten. Doch solange der "strategische Dissens" in der NATO nicht entschieden ist, kann der Schlafmohnstreit nicht mit sachlichen Argumenten geführt werden. Das Versagen der Bundesregierung liegt darin, ihren richtigen Ansatz in Afghanistan nur halbherzig zu verfolgen und in der NATO nur halbherzig zu vertreten. Verteidigungsminister Franz Josef Jung muss seinen Kollegen im Bündnis klar sagen, was Deutschland für den richtigen Weg hält: Der Grund, warum die Bundesregierung keine deutschen Soldaten in den Süden schicken will, ist nicht, dass die Bundeswehr im Norden schon so viel zu tun hat. Deutschland engagiert sich nicht im Süden, weil das Vorgehen der US-geführten Truppen dort falsch ist.
Ein Abzug aus Afghanistan wäre ein Fehler - wer dies fordert, sollte zumindest bedenken, was er den Afghanen antut. Klar ist auch, dass dieser Krieg nur zivil gewonnen werden kann. Die Bundesregierung weiß das. Sie hätte schon längst handeln müssen.
Quelle: ntv.de