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Volker Jacobs kommentiert Kakophonie im Orchestergraben

Das Sprichwort "Der Ton macht die Musik" wird derzeit durch die Debatten in der Großen Koalition weniger eindrucksvoll als bedrückend bestätigt. Aus dem Orchestergraben klingt Kakophonie - ein Misstönen. Es wird zum einen dadurch erzeugt, dass Orchestermitglieder der Union Vorschläge präsentieren, die nicht abgestimmt sind oder sonst wie verirrt daherkommen, zum anderen durch die Reaktionen. Der Gesamteindruck ist Konfusion.

Die SPD erwartet zu Recht, dass Familienministerin Ursula von der Leyen ihre Vorschläge zum Ausbau von Kinderkrippen endlich auch finanzpolitisch unterfüttert. Legitim ist auch, dass die SPD die Überlegungen von Wirtschaftsminister Michael Glos zur Senkung der Einkommensteuer zurückweist, wobei sie allerdings geflissentlich überhört, dass der Minister dabei den Vorrang der Haushaltskonsolidierung keineswegs aufgehoben hat.

Die Debatte über die Erbschaftssteuer und die über die Pläne des Innenministers zur Speicherung von Personendaten sind andere Beispiele dafür, wie die Union den Koalitionspartner vor sich her zu treiben sucht. Da kommt schon Wahlkampfstimmung auf.

Diese wird dann durchaus verstärkt, wenn der Wirtschaftsminister ob seiner auch in der eigenen Partei keineswegs wohlgefällig aufgenommenen Überlegungen von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil als "Leichtmatrose" abqualifiziert wird. Dass ein Oppositionspolitiker einem Minister auf diese Weise unzureichende Fähigkeiten bescheinigt, ist normal. Unter Politikern, die zusammenarbeiten sollten, ist dergleichen der Kooperation kaum förderlich. Ähnliches gilt, wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck der Familienministerin nachsagt, sie habe bisher nur "heiße Luft" produziert. Diese Aussage ist übrigens nicht allein äußerst unfreundlich sondern auch insofern überraschend, als die von Frau von der Leyen produzierte Luft der SPD immerhin die Meinungsführerschaft in der Familienpolitik geraubt hat.

Der Umgangston hat natürlich Ursachen. Die Union baut Positionen auf, die attraktiver sein sollen als der entschiedene Reformkurs, mit dem sie bei der jüngsten Bundestagswahl fast eine Niederlage erlitten hat. Ihre Kanzlerin steht gut da. Die SPD hingegen erntet ausweislich aller Umfragen bislang keine Früchte von den Reformen, die sie mitträgt oder wie Schröders Agenda 2010 selbst in die Wege geleitet hat. Nicht zuletzt zeigt sich in diesem Umgangston, dass sich anders als in Großen Koalition der Jahre 1966 bis 1969 nicht zwei Partner zusammengefunden haben, die zusammengehen wollten, um ein präzise formuliertes Programm abzuarbeiten. Anders als damals sind zwei unwillige Partner vom Wähler zusammengezwungen worden, und unter diesem Zwang leiden beide, aber die SPD mehr als die Union. Dass sie sich auch so aufführen, lässt für die Ergebnisse dieses Zusammengehens wenig Gutes hoffen.

Quelle: ntv.de

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