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Wenn der Wahlkampf eskaliert Kommt mal wieder runter!

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Alle drei Kandidaten sehen sich teils heftigen Vorwürfen ausgesetzt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Deutschlands Kanzlerkandidaten sind offenbar allesamt ungeeignet: Scholz verspottet Geimpfte, Laschet verhält sich "dumm" im Umgang mit einem Querdenker und Baerbock will Bürger an den "Pranger" stellen. Stimmt so zwar alles nicht, ist aber offenbar egal, solange die Anwürfe scheinbar nutzen.

In dem einigermaßen engen Dreikampf ums Kanzleramt liegen bei einer offenbar wachsenden Zahl an Politikern die Nerven blank. So zumindest würden sich damit die immer häufigeren Attacken auf die Kanzlerkandidaten erklären, die einer ordentlichen Grundlage entbehren. Und die, quasi als Kollateralschaden, den gesamten demokratischen Politikbetrieb in Misskredit bringen. Wer all die verzerrten Anwürfe verfolgt und den Aufruhr, den sie in Medien und Internet zwangsläufig nach sich ziehen, kann gar nicht anders, als den wahlkämpfenden Männern und Frauen zurufen zu wollen: "Kommt mal runter, Leute!"

Die Eskalation der vergangenen Tage muss nämlich Sorge machen, wo das alles noch hinführen soll bis zur Wahl. Wer die Wahrheit zugunsten der Zuspitzung vernachlässigt, findet sich schnell in einer Spirale der Niveau-Unterbietungen wieder, der US-Wahlkampf lässt grüßen. "Krass, krasser, am krassesten" darf aber in der Bundesrepublik Deutschland kein Leitfaden der politischen Kommunikation sein, schon gar nicht, wenn es um so wichtige Themen wie Corona oder Rechtsstaatlichkeit geht.

Dreimal völlig daneben

Es ist zum Beispiel einfach nicht wahr, dass Olaf Scholz die bereits Corona-Geimpften ernsthaft als Versuchskaninchen bezeichnet hat. Wer sich das Zitat anschaut, versteht auf Anhieb, dass der SPD-Kanzlerkandidat augenzwinkernd die Skeptiker zur Spritze motivieren wollte: mit dem Hinweis darauf, dass sich schon Millionen Menschen freiwillig vorgewagt haben, ohne dass diese dadurch Schaden genommen hätten. Wenn Unionspolitiker nun verbreiten, Scholz habe Geimpfte als Versuchskaninchen beleidigt, ist das mutwillige Verzerrung - und damit schlicht gelogen

Es ist auch ehrabschneidend, wie wiederum SPD-Politiker Karl Lauterbach das Verhalten von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet während eines Wahlkampfauftritts in Thüringen als "dumm" abwertet: Der CDU-Chef hatte nicht erkannt - und nicht erkennen müssen, dass ein vermeintlich aufgebrachter Bürger mit Redebedarf ein relativ bekannter Querdenken-Aktivist ist. Laschet hatte den Mann an sich herankommen lassen, ihn seine Zweifel auf der Bühne aussprechen lassen und deeskalierend auf ihn eingewirkt. Wenn Lauterbach kritisiert, der geimpfte Laschet habe den sicher nicht geimpften Mann auf wenige Zentimeter an sich herankommen lassen: Olaf Scholz lässt zurzeit fast täglich Dutzende Menschen Fotos mit sich machen - ohne auf Maske oder Impfnachweis zu bestehen.

Dass Politiker von Union und SPD die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock mit Begriffen wie Stasi, Steuer-Pranger und Blockwartmentalität überzogen, weil sie sich für eine bundesweite Steuerbetrüger-Meldeplattform aussprach, schoss ebenfalls weit übers Ziel hinaus. Zum einen, weil es sachlich falsch ist: Weder spioniert der Staat seine Bürger aus oder ermuntert sie, andere auszuspionieren, noch werden Steuersünder an einen öffentlichen Pranger gestellt. Zum anderen werden mit so einem Stil der Auseinandersetzung Politiker, an deren Demokratie-Treue kein Zweifel besteht, für etwas billige Aufmerksamkeit völlig diskreditiert.

Die Politik setzt den Ton

Natürlich ließe sich einwenden, die vermeintlich bösen Medien würden solchen Extremäußerungen erst Aufmerksamkeit verschaffen. Aber schwere Vorwürfe von Politikern an Politikern sind von öffentlichem Interesse und nachrichtlicher Relevanz und daher nur schwer zu ignorieren. Und viele dieser Verdrehungen und Beleidigungen zielen gar nicht in erster Linie auf ein Zitat in den Medien, sondern auf Aufmerksamkeit bei Twitter und Co.

Wenn sich Berufspolitiker über einen immer raueren Umgang beschweren, sollten sie das bei den eigenen Äußerungen beherzigen: Es sind die Kandidaten, Amts- und Mandatsträger, die den Umgangston im politischen Diskurs bestimmen. Wenn alle Seiten bei jeder sich bietenden Gelegenheit einander in immer gröberer Wortwahl Unfähigkeit und böse Absichten unterstellen, bleibt bei der Bevölkerung vor allem eines hängen: Dass "die da oben" scheinbar alle nichts taugen. Und das entspricht ebenfalls nicht der Wahrheit.

Quelle: ntv.de

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