Streit um Kindergrundsicherung Mehr Geld allein ist nicht die Lösung
03.04.2023, 17:56 Uhr
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Eine gute Investition wäre es, zum Beispiel, in einer kostenfreien Kita viel mehr Kindern als derzeit zu belastbaren Deutschkenntnissen zu verhelfen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Streit um die Kindergrundsicherung wird zu reflexartig geführt und mit allzu verengtem Blick auf Höhe der Sätze. Denn der Ruf nach ausschließlich mehr Geld läuft eigentlich ins Leere.
Christian Lindner hat ein seltsames Talent dafür, eiskalt zu wirken, sich höllisch unbeliebt zu machen und so Debatten zu eröffnen, die er politisch kaum gewinnen kann. Der Streit um die Kindergrundsicherung ist so ein Fall, der sich für ein schnelles Urteil und klare Sympathieverteilung anbietet.
Aber ganz anders liegt.
Laut einer Bertelsmann-Studie waren 2021 knapp drei Millionen Kinder statistisch von Armut bedroht. Sie leben überdurchschnittlich häufig in Alleinerziehenden-Haushalten, ein weiterer zentraler Faktor ist, kein Wunder, Arbeitslosigkeit. Und Armut "vererbt" sich: Kinder, die in derart betroffenen Familien groß werden, bleiben als Erwachsene statistisch häufiger in vergleichbaren Verhältnissen stecken. Es ist ein beschämender Befund für eines der reichsten Länder auf dem Planeten.
Die Ampel-Regierung will nun verschiedene (Sozial-)Leistungen wie Kindergeld, Freibetrag, Kinderzuschlag und Bildungs- beziehungsweise Teilhabepakete erhöhen und bündeln. Letzteres nennt der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, "familienpolitisches Schickimicki", weil es eine Digitalplattform für die Antragstellung geben soll. Damit schießt er meilenweit am Ziel vorbei: Bestimmte Unterstützungen für Kinder werden nur zu einem Bruchteil der möglichen Ansprüche abgerufen, weil die Antragstellung für die Betroffenen zu kompliziert ist - und weil die Verrechnung mit (anderen) Ansprüchen aus Hartz-IV oder Bürgergeld für die Ämter fehler- und klageanfällig ist. Beides kostet viel Zeit. Und immer auf Kosten der Kinder.
Wenn der FDP-Chef also dafür wirbt, die Leistungsgewährung zu vereinfachen - dann erhöht er die Chance, dass die Gelder dort ankommen, wo sie hingehören. Das ist mindestens so wichtig, wie immerfort zusätzliches Geld zu fordern. Und: Wer wie der FDP-Chef den Blick auch auf die wichtigste Wurzel des Übels lenkt, könnte zumindest helfen, den Teufelskreis "vererbter" Not zu durchbrechen. Heißt: Wenn es gelingt, bei deutlich über einer Million offener Stellen, mehr Mütter und Väter in ordentlich bezahlte Arbeit zu bringen, dann hilft das materiell und sozial vermutlich mehr, als beim gerade deutlich erhöhten Kindergeld oder Bürgergeld noch einmal ein wenig nachzubessern.
Das Geld aus der Staatskasse könnte besser angelegt sein und nachhaltiger helfen. Vielleicht wäre es zum Beispiel eine gute Investition, in einer kostenfreien Kita viel mehr Kindern als derzeit zu belastbaren Deutschkenntnissen für die Grundschule zu verhelfen. Genau da nämlich werden gegenwärtig viel zu oft die Weichen ins Aus gestellt. Eine Prüfung sollte das also wert sein - und nicht billige Polemik über Porsche fahrende Parteivorsitzende.
Es muss möglich sein, eine Diskussion um die bestmögliche Bekämpfung von Kinderarmut in einem reichen Land zu führen - ohne, dass irgendjemandem unterstellt wird, diese Armut verharmlosen oder gar leugnen zu wollen. Wie gut Armutsbekämpfung funktioniert, misst sich aber nicht allein an den aufgewandten Summen. Die deutschen Sozialausgaben sind gemessen an der Wirtschaftskraft mehr oder minder stetig auf das heutige Rekordniveau gestiegen, aber die Kinderarmut ist geblieben. Es läuft also etwas mächtig schief und der Ruf nach ausschließlich mehr Geld eigentlich ins Leere.
Quelle: ntv.de