Politik

Streit um Kindergrundsicherung "Herr Lindner betreibt politische Schaumschlägerei"

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Kinderarmut betrifft auch Familien, deren Eltern von ihrer Arbeit allein nicht leben können.

(Foto: picture alliance / ZB)

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Bundesfinanzminister Christian Lindner bremst mit Blick auf knappe Kassen bei der Kindergrundsicherung. Damit facht der FDP-Vorsitzende nach dem Heizungsstreit den nächsten Ampel-Konflikt an. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, kann die FDP-Position nicht nachvollziehen: Weder komme das erhöhte Kindergeld bei armen Familien an noch genüge es, die bestehenden Leistungen für Kinder in Armut zu bündeln. Die Zurückhaltung der SPD im Ampel-Streit sieht Schneider ebenfalls kritisch.

ntv.de: Herr Schneider, Bundesfinanzminister Christian Lindner sieht kaum finanziellen Spielraum, die geplante Kindergrundsicherung mit deutlich höheren Sätzen zu unterfüttern und verweist auf die schon erfolgte Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro. Warum reicht Ihnen das nicht?

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Ulrich Schneider ist seit 1999 Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der mehr als 10.000 gemeinnützige Organisationen vertritt.

(Foto: picture alliance / epd-bild)

Ulrich Schneider: Das ist politische Schaumschlägerei, die Herr Lindner da betreibt. Das Kindergeld wird bei den Familien, die Hartz IV beziehen, voll angerechnet. Von der Erhöhung bleibt bei diesen Familien deshalb nichts hängen. Das ändert sich auch nicht mit dem Bürgergeld.

Aber Familien in Armut erhalten auch ohne die weiteren Milliarden, die Familienministerin Lisa Paus fordert, mehr Geld: Die Leistungen werden gebündelt und digitalisiert. Zudem sollen Teilhabegutscheine kommen. Ist das nicht ein Fortschritt?

Die Digitalplattform ist familienpolitisches Schickimicki, mehr nicht. Und die Teilhabegutscheine werden von den betroffenen Familien nicht in Anspruch genommen werden können, weil die monatlich 15 Euro pro Kind nicht weiterhelfen. Wie sollen die Eltern die übrigen 45 Euro aufbringen für den 60 Euro teuren Klavierunterricht? Auch ein Fußballverein kostet deutlich mehr als 15 Euro pro Monat, sei es die Sportkleidung oder die Fahrten zu Spielen und Trainingslagern.

Schickimicki hieße, Bündelung und Digitalisierung der Leistungen seien gar nichts wert. Die Lichtung des Antragsdschungels klingt doch sinnvoll.

Natürlich schadet die Digitalisierung nicht. Wir alle freuen uns, wenn wir einfacher Anträge stellen können. Aber die Kinderarmut bekämpft man damit nicht. Die Leistungen für Familien mit Kindern liegen unter der offiziellen Armutsgrenze. Gegen Armut hilft am Ende nur Geld. Die Hartz-IV-Sätze müssen um mindestens 30 Prozent steigen.

Finanzminister Lindner verweist auf knappe Kassen und würde die Priorität lieber darauf legen, Eltern armer Kinder in Arbeit zu bringen.

Herr Lindner zeigt sich in der gesamten Diskussion überraschend fachunkundig. Von den vier Millionen Hartz-IV-Beziehern sind mehr als eine Million Menschen bereits in Arbeit, können davon aber nicht leben. Darunter sind viele alleinerziehende Mütter. Die können nicht gleichzeitig drei Kinder versorgen und in Vollzeit beim Discounter an der Kasse stehen. Herr Lindner redet da an der Realität vorbei. Außerdem: Mehr Menschen in Arbeit zu bringen, braucht Zeit. Es kann doch nicht sein, dass man die Kinder dieser Eltern so lange in Einkommensarmut hält.

Bleibt das Argument knapper Kassen …

Herr Lindner hat zweistellige Milliardenbeträge für ein Steuerentlastungspaket rausgehauen, von dem vor allem Besserverdienende profitieren. Die Abschaffung der EEG-Umlage hat ebenfalls einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet, wovon Menschen mit hohem Stromverbrauch überproportional profitieren. Insofern hat sich der Finanzminister die Finanzklemme, wenn es sie denn geben sollte, selbst erarbeitet.

Die Ampel war angetreten mit dem Anspruch, widerstreitende gesellschaftliche Richtungen zum Wohle aller zusammenzubringen. Sind wir zurück im alten Systemkampf - die den schlanken Staat fordernde FDP gegen den Vollkasko-Anspruch, den die Parteilinken von SPD und Grünen postulieren?

Ich erkenne nicht, wo jemand einen Vollkasko-Anspruch formuliert, wenn er Kinder vor Armut schützen will. Die FDP ist weiterhin eine außerordentlich neoliberale Partei, und die Grünen erheben nicht nur ökologische Forderungen, sondern betreiben in den letzten Jahren mehr und mehr soziale Politik. Der Kitt, der das in der Ampel alles zusammenhalten sollte, ist sehr schnell brüchig geworden.

Geführt wird diese Regierung aber von der Partei, die das Wort "sozial" im Namen trägt. Wie bewerten Sie die Rolle der SPD in diesem Konflikt?

Das Schweigen von Bundeskanzler Olaf Scholz und auch von Bundessozialminister Hubertus Heil zur Kindergrundsicherung ist ja mittlerweile dröhnend laut. Die SPD macht sich da offenbar einen schlanken Fuß und lässt die Koalitionspartner streiten. Andererseits: Wenn sich Herr Heil für höhere Leistungssätze einsetzen würde, müsste er ja zugeben, dass die Hartz-IV-Sätze für Kinder im Moment in Wirklichkeit Armutssätze sind. Die SPD hat die Hartz-IV-Politik und damit die Kinderarmut mitzuverantworten.

Mit Ulrich Schneider sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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