Pro Merkel kämpft europäisch
06.02.2012, 14:56 UhrDie Kanzlerin setzt sich offen für eine weitere Amtszeit des französischen Präsidenten ein. Ein Skandal? Nein. Merkel trotzt unzeitgemäßen diplomatischen Gepflogenheiten und leitet vielleicht den ersten richtigen europäischen Wahlkampf ein.
Angela Merkels parteiischer Einsatz im französischen Wahlkampf ist beispiellos in der deutschen Geschichte. Vor einer guten Woche ließ die Kanzlerin ihren Generalsekretär Hermann Gröhe nach Paris reisen. Inbrünstig setzte der sich beim Wahlkampfauftakt der UMP für das Gespann Merkel-Sarkozy ein. Nun tritt die CDU-Chefin mit Nicolas Sarkozy im deutschen und französischen Fernsehen vor die Kamera, für ein Doppelinterview. Offiziell ist das kein Wahlkampfauftritt. Doch natürlich ist die Sendung für die beiden eine perfekte Gelegenheit, sich als starkes Führungsduo der Europäischen Union zu präsentieren.
Als wäre das nicht genug Parteinahme: Merkel plant weitere gemeinsame Auftritte und düpiert zugleich Sarkozys Konkurrenten. Nach "Spiegel"-Informationen sucht Merkel derzeit nach einem Weg, einen prestigeträchtigen Besuch des Sarkozy-Herausforderers François Hollande im Kanzleramt zu verhindern. Darf sich eine Bundeskanzlerin derart offen in den Wahlkampf im Ausland einmischen?
Obama an der Siegessäule
Vor kaum vier Jahren hätte Merkel diese Frage wohl selbst mit Nein beantwortet. 2008 wollte Barack Obama als US-amerikanischer Präsidentschaftskandidat eine Rede vor dem Brandenburger Tor halten. Merkel machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen diese Idee. Obama musste an die Siegessäule umziehen.
Merkel wollte damals nicht riskieren, Obama ein derart symbolträchtiges Podium zu bieten. Zu groß schien die Gefahr, dass die transatlantischen Beziehungen Schaden nehmen könnten, wäre statt Obama Herausforderer John McCain ins Weiße Haus eingezogen. Durch ihre Parteinahme für Sarkozy könnte Merkel nun den Beziehungen zu Frankreich schaden, falls der Sozialist Hollande die Wahlen für sich entscheidet.
Muss die Kanzlerin also neutral bleiben, um kein diplomatisches Porzellan zu zerschlagen? Das Beispiel Frankreich zeigt, dass die Zeiten der allzu behutsamen Beziehungspflege vorüber sein müssen. Zumindest in der Europäischen Union. 20 Jahre nach dem Abschluss des Maastricht-Vertrages sind die Abhängigkeiten der Mitgliedsstaaten einfach zu groß geworden. Das zeigt sich vor allem in der Eurokrise.
Klare Prioritäten
Herausforderer Hollande tritt mit Vorhaben gegen Sarkozy an, die Merkels Interessen deutlich widerstreben. So will er den mühselig ausgehandelten Fiskalpakt, für den sich vor allem die deutsche Kanzlerin eingesetzt hat, neu verhandeln. Seine Sozialisten fordern zudem Euro-Bonds und kritisieren Deutschlands harten Sparkurs.
Will Merkel durchsetzen, was sie für Deutschland und für die EU für richtig hält, muss sie sich einmischen. Alles andere wäre Heuchelei. Vielleicht ist der Wahlkampf in Frankreich darum der erste wirklich europäische Wahlkampf. Mit Merkel steht erstmals ein Regierungschef offen dafür ein, dass Europa auch bei Wahlen ein Mitspracherecht hat. Fraglich ist noch, ob Frankreichs Wähler die deutsche Einflussnahme auch als Bonus für Sarkozy wahrnehmen. Das allerdings ist ihre Angelegenheit.
Quelle: ntv.de