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Gefährlicher Twitter-Deal Musk sagt "Freiheit" und meint nur sich selbst

Selbsternannter Kämpfer für die Meinungsfreiheit: Elon Musk

Selbsternannter Kämpfer für die Meinungsfreiheit: Elon Musk

(Foto: picture alliance / NTB)

Elon Musk sagt über seinen Twitter-Deal, er wolle die Meinungsfreiheit wiederherstellen. Doch seine Auffassung von freier Rede ist nicht nur widersprüchlich, sie ist auch eine Gefahr für die Demokratie.

"Der Vogel ist befreit." Mit diesen vier Worten feiert Elon Musk die abgeschlossene Twitter-Übernahme. Einmal mehr inszeniert sich der Milliardär als idealistischer Befreier der Plattform, der er Zensur unterstellt. Sein Vorwurf: Twitter nehme zu viele Sperrungen und Löschungen auf Grundlage der eigenen Richtlinien vor. Laut Musk sollten entsprechende Vorgaben einzig und allein dem Gesetz unterliegen. Er selbst sei ein "Absolutist der Meinungsfreiheit". Freie Rede stehe für ihn an oberster Stelle in einer "funktionierenden Demokratie". Doch tatsächlich sind seine Ansichten zutiefst undemokratisch.

Das Gesetz als Maßstab zu nehmen, mag zunächst rosig klingen. Allerdings ist Twitter ein US-Unternehmen, gesetzliche Vorgaben sind dort völlig anders als in Europa. Die Justiz im Land der unbegrenzten Möglichkeiten dehnt freie Meinungsäußerung sehr weit aus. Selbst rassistische Beleidigungen, Holocaustleugnung oder Morddrohungen fallen unter "free speech", solange auf solche Aussagen keine unmittelbare Gewalt folgt. Das überhaupt nachzuweisen, ist schwer.

Dabei ist hinlänglich bekannt, wie Hass im Netz als Brandbeschleuniger für Radikalisierung und Gewalt im echten Leben wirken kann. Donald Trump, Musks geistiger Verbündeter, wenn es um den Kampf gegen angebliche Zensur geht, wurde nach dem Kapitol-Sturm Anfang 2021 von Twitter verbannt. Er hatte mit wiederholten Falschaussagen über eine angebliche Wahlfälschung seine Anhänger zur Gewalt aufgestachelt. Musk kündigte an, die Sperre gegen den Ex-Präsidenten aufheben zu wollen. Derweil hat sich Trump seine eigene Social-Media-Parallelwelt geschaffen. Das Medium "Truth Social" fristet ein Schattendasein als Echokammer für Verschwörungsideologien und rechtsradikale Ansichten.

Grenzenlose Freiheit?

Plattformen wie Twitter versuchen, einer solchen Entwicklung durch Moderation oder Warnhinweise entgegenzuwirken. Das betrifft etwa Posts, die zu Hass und Gewalt aufrufen, andere diffamieren oder Falschinformationen verbreiten. Die freie Rede des Einzelnen soll sichergestellt werden, ohne, dass die Freiheit anderer durch Abwertung verletzt wird. Ein Balanceakt, der bei knapp 240 Millionen täglich aktiven Nutzern regelmäßig an seine Grenzen stößt.

Nur würde eine eingeschränktere Moderation Hass und Hetze viel mehr Raum geben und eine faire Debatte erschweren. Minderheiten und sozial Schwache gehen im Diskurs unter, wenn sie nicht geschützt werden. Ein Minimum an Regeln verschärft diese Ungleichheit und stärkt lediglich die Menschen, die ohnehin am oberen Ende der Gesellschaft stehen. Menschen wie Musk.

Der will alternativ eine Klarnamenpflicht einführen. Das wäre das Ende für Twitter-Nutzer, die oppositionell aus autoritären Ländern berichten - und ein Verlust für die freie Meinungsäußerung und Twitter gleichermaßen. Weder könnten Krankenschwestern anonym aus ihrem Arbeitsalltag berichten, noch Lehrer skurrile Schulhof-Anekdoten breittreten.

Verwunderlich nur, dass der selbsternannte Vorkämpfer der Meinungsfreiheit die Fahne plötzlich nicht mehr so hoch trägt, wenn er selbst im Schlaglicht steht. Tesla-Mitarbeiter aus Kalifornien, die über ein rassistisches Betriebsklima geklagt hatten, wurden gefeuert. Auch Angestellte von SpaceX verloren ihren Job, nachdem sie in einem offenen Brief einen unzureichenden Umgang mit sexuellem Missbrauch im Unternehmen anprangerten und ihrem Boss Musk vorwarfen, eine Flugbegleiterin belästigt zu haben.

Es geht um Macht

Es wäre also mehr als naiv zu sagen, dem reichsten Menschen der Welt geht es um den guten Zweck, wenn er für 44 Milliarden Dollar Twitter kauft und offenbar selbst auf dem Chefsessel Platz nehmen wird. Denn dieser Posten bedeutet vor allem Macht und Einfluss. Musk bedient künftig die Schalthebel einer Plattform, die im öffentlichen Diskurs nicht wegzudenken ist. Aktivisten, Journalisten oder Politiker nutzen Twitter als wichtiges Sprachrohr.

Bereits zuvor mischte sich Musk immer wieder in die Politik ein, schlug etwa einen fragwürdigen Friedensplan für die Ukraine vor. Zudem macht er keinen Hehl daraus, in der US-Politik die Republikaner zu unterstützen. Die Demokraten hält er hingegen für eine "Partei der Spaltung und des Hasses". Die Meinungsfreiheit sieht er vornehmlich von "woken" Linken bedroht, die versuchen würden, die "Zivilisation zu zerstören". Eine Meinung, die Musk natürlich haben kann. Sollte er auf Grundlage dieses einseitigen Verständnisses versuchen, Twitter zu transformieren - wonach es aussieht - wäre das jedoch alles andere als demokratisch.

Selbstredend hat Musk recht: Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter der Demokratie. Autoritäre Staaten wie China oder Russland zeigen, wohin staatliche Gleichschaltung und Zensur führen. Doch Meinungsfreiheit benötigt Regeln. Musk aber instrumentalisiert den Begriff, um nach seinen eigenen Regeln spielen zu können. Als erste Amtshandlung hat er bereits die Chefetage von Twitter entlassen. Experten erwarten, dass er sie mit Personen besetzt, die ihm wohlgesonnen sind - und selbst an der Spitze steht. Mit Demokratie hat das nichts zu tun. Fraglich also, wie frei der Vogel in Zukunft wirklich ist.

Quelle: ntv.de

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