Zwischenruf Nordkorea: 2010 AD oder Juche 99?
29.09.2010, 16:04 Uhr
Über Kim Jong Ils Gesundheitszustand wird schon seit langem spekuliert.
(Foto: picture alliance / dpa)
Eigentlich fand die Wieder"wahl" von Kim Jong Il nicht am 28. September 2010, sondern des Jahres Juche 99 statt. Schon die auf das Geburtsjahr seines Vaters Kim Il Sung ausgerichtete Zeitrechnung zeigt, mit welcher Unverschämtheit der Clan über das 24-Millionen-Volk herrscht. Mit der Ernennung seines (wahrscheinlich) 27-jährigen Sohns Kim Jong Un und seiner 64-jährigen Schwester Kim Kyon Hui zu Generälen wird schrittweise die Thronfolge vorbereitet. Die Berufung auf die "Blutlinie" der Kims verleiht dem Ganzen elitär-darwinistische Züge. Damit ist die Pervertierung der einst zum Aufbau eines besseren Korea angetretenen Partei der Arbeit zum Instrument einer feudalistischen Herrscherclique perfekt. Im Vordergrund stehen die Streitkräfte als zentrales Machtmittel der Kim-Sippe. Die Losung lautet seit Jahren: "Die Armee zuerst!"
Kim Jong Un als nunmehr einer der beiden Vizechefs der Militärkommission des Zentralkomitees der Partei der Arbeit ist faktisch zweiter Mann im Staate, ex aequo mit General Ri Yong Ho, der erst im Februar zum Generalstabschef ernannt worden war. Es ist unklar, ob Ri ein Gegengewicht zu Kim Jong Un bildet, hinter dem ein Teil oder gar die Mehrheit der Generalität steht. Unstrittig ist jedoch, dass einzig die Armee in der Lage wäre, im Falle eines plötzlichen Ablebens des Monarchen die Geschicke des Landes in die eine oder die andere Richtung zu lenken. Der Aufstieg von Kims Jong Ils Schwester in eine offizielle Funktion kann einerseits auf die Unterstützung ihres jungen, politisch wie militärisch unerfahrenen, Neffen ausgerichtet sein. Südkoreanische Berichte sprechen aber auch von einer Rivalität zwischen Tante und Neffe.
Solange Kim Jong Il am Leben ist, scheint eine Verbesserung der Lebenslage des Volkes und eine dauerhafte Normalisierung der Beziehungen zum Süden unmöglich. Auch China, an dessen Tropf Nordkorea hängt, ist nicht willens, den Machthaber zu Veränderungen zu drängen. Zu groß ist in Peking die Furcht vor Instabilität an der Südostgrenze. In welche Richtung sich Nordkorea unter einem Kim Jong Un entwickelt, ist offen. Aus dem – nicht gesicherten – Besuch einer Schule in der Schweiz jedenfalls lässt sich keine Sympathie für Demokratie und soziale Politik ableiten. Allzu viele Diktatoren haben westliche Bildungseinrichtungen besucht. Wer auch immer künftig an der Spitze Nordkoreas steht: Der Süden ist aus finanziellen Gründen nicht an einer raschen Wiedervereinigung interessiert. Ein Crashkurs würde ins Chaos führen. Unberechenbar wäre die Reaktion der Betonfraktion eines Landes, das sehr wahrscheinlich über Atomwaffen verfügt. Mittelfristig wäre eine Konföderation sinnvoll, die zusammenwachsen lässt, was zusammengehört. Dies würde auch wirtschaftliche Korrekturen im Norden ermöglichen. Die Wiedereinführung des Gregorianischen Kalenders wäre ein sinnvoller Anfang.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de