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Absage an Kiew wegen Steinmeier Scholz' verletzter Stolz ist unangebracht

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Olaf Scholz beschreibt seine Entscheidungen im Interview als „besonnen“. In diesem Fall eher nicht.

Olaf Scholz beschreibt seine Entscheidungen im Interview als „besonnen“. In diesem Fall eher nicht.

(Foto: Thomas Kierok/ZDF/dpa)

Völlig unerwartet verkündet Bundeskanzler Scholz, dass er vorerst nicht die Ukraine besuchen wird. Als Grund nennt er die Ausladung von Bundespräsident Steinmeier vor rund zwei Wochen. Statt nachtragend zu sein, sollte er das persönliche Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj suchen.

In einem TV-Interview, in dem es zunächst nur um die erwartbare Debatte über Waffenlieferungen geht, kommt es am Ende zu einer Überraschung. Bundeskanzler Olaf Scholz will vorerst nicht in die Ukraine reisen. Was im ersten Moment verblüfft, weicht schnell der Ungläubigkeit. Denn der Grund, weshalb der Bundeskanzler des größten EU-Landes nicht in das von Krieg und Zerstörung erschütterte europäische Land reisen will, ist die vermeintliche Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zwei Wochen zuvor. Damit spielt der Kanzler nicht nur "beleidigte Leberwurst", sondern vergisst auch mal eben die Wichtigkeit eines Zusammenhalts des Westens gegenüber Russland.

"Jede einzelne Entscheidung muss sorgfältig abgeklärt werden", sagt der Kanzler noch zu Beginn der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Scholz?" mit Blick auf die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Doch als er später einer Reise nach Kiew eine Absage erteilt, muss man sich tatsächlich fragen, wie abgeklärt diese Entscheidung war. Denn die Begründung "dass der Bundespräsident ausgeladen wurde, steht der Sache im Weg" scheint keine rationale oder gar funktionale, sondern rein emotionale Entscheidung zu sein. Scholz vermittelt auf diese Weise, dass er Kiew die Ausladung auch noch Wochen danach nicht verziehen hat. Ein fatales Signal.

Hinter Scholz' längst überfälliger Reise nach Kiew steckt daher nicht etwa Zögerlichkeit, sondern Kalkül. Stattdessen fährt CDU-Chef Friedrich Merz in die Ukraine, dessen Reise mit Scholz angeblich abgesprochen war und die er "billigt". Dass jetzt der Oppositionsführer in die Ukraine reist, und der Bundeskanzler sich bewusst dagegen entscheidet, wirkt, als wolle Scholz Selenskyj damit abstrafen.

Die Ukraine schuldet Deutschland gar nichts

Denn was bezweckt Scholz mit seinem Fernbleiben? Wünscht er sich mehr Respekt und Dankbarkeit von der Ukraine? So wirkt es nämlich, wenn Scholz sagt: "Das kann man nicht machen bei einem Land, das so viel hilft und liefert." Dabei vergisst er einen zentralen Punkt: Die Ukraine ist uns für unsere Hilfen und Waffenlieferungen nichts schuldig. Denn das Land kämpft nicht nur für seine eigene Freiheit, sondern für die Freiheit und das Wohl ganz Europas. Das müsste Scholz eigentlich wissen.

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Stattdessen sollte Scholz mit einer Reise in die Ukraine Einigkeit und Zusammenhalt der beiden Länder gegenüber Russland demonstrieren. Alles andere spielt Putin in die Karten. Für Machtkämpfe und Spielchen ist in der aktuellen Lage weder Zeit, noch ist es angebracht, während Millionen von Menschen aus ihrer Heimat fliehen und die anderen sie tapfer verteidigen.

Man kann sicher darüber streiten, ob die Ausladung Steinmeiers eine geschickte Handlung seitens der Ukraine war - auch das strahlt keine Einigkeit des Westens gegenüber Russlands aus. Kritik daran ist berechtigt. Aber als Antwort darauf, nicht das Land besuchen zu wollen, das seit Wochen bombardiert wird, dessen unschuldige Zivilisten von Russen getötet, gefoltert und vergewaltigt werden, ist zynisch und fehl am Platz. Jetzt ist nicht die Zeit von Befindlichkeiten und verletztem Stolz. Scholz sollte schnellstmöglich das aufrichtige Gespräch mit Selenskyj suchen - und zwar nicht wie gewohnt per Videoschalte oder Anruf, sondern persönlich, in der Ukraine.

(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 03. Mai 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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