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Zwischenruf Parteien: Öffentlich Wasser, heimlich Wein

Viele Deutsche sind der Parteien überdrüssig.

Viele Deutsche sind der Parteien überdrüssig.

(Foto: dpa)

Die Mitgliederzahlen der Bundestagsparteien sinken rapide. Die Hauptursache für die Abwendung ist die wachsende Kluft zwischen Programmatik und Praxis. Die einzige Partei mit einem deutlichen Zuwachs ist die der Nichtwähler. Das ist eine Riesengefahr für unser demokratisches Gemeinwesen.

Der dramatische Rückgang der Mitgliederzahlen der im Bundestag vertretenen Parteien sollte bei deren Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen lassen. Alle haben verloren, bis auf die Grünen, aber deren Gewinne sind auch nicht gerade berauschend. Die Gründe sind unterschiedlich: Bei CDU, CSU, FDP und SPD ist es wohl vor allem die Enttäuschung über den Kontrast zwischen Partei- und Wahlprogrammatik auf der einen, politischer Praxis auf der anderen Seite. Der Satz von Franz Müntefering über die Unfairness, Parteien an ihren Wahlversprechen zu messen, macht dies in nachgerade erschreckender Weise deutlich.

Die Grünen wuchsen, wenn auch in bescheidenem Maße, in erster Linie im Umfeld der Atomkatastrophe von Fukushima, welche bundesweit für eine Art Weltuntergangsstimmung sorgte. Die Linke haderte lange, zu lange, mit sich selbst: Die inneren Streitigkeiten ließen den in dieser Woche verstorbenen ehemaligen Parteivorsitzenden Lothar Bisky sogar von einem "Klima der Denunziation" sprechen. Hinzukommt, dass die Mitgliedschaft in dieser Partei kaum berufliche oder soziale Vorteile mit sich bringt. Aber wenn selbst Parteien wie der in Bayern omnipräsenten und karrierefördernden CSU Mitglieder davonlaufen, liegen die Gründe tiefer als die in der Studie sichtbar gewordene Überalterung.

Der Hamburger Parteienforscher Elmar Wiesendal meint, es läge an der "Erosion der Milieus" und meint damit, dass die gesellschaftlichen Gruppen, aus denen die Mitglieder stammen, immer kleiner werden. Woran genau er das misst, bleibt offen. Wie fragil die Bevölkerungszahlen sind, zeigte der jüngste Zensus, laut dem in Deutschland mit immerhin 80,2 Millionen Menschen immer 1,6 Millionen weniger leben als bis dato angenommen.

Skandale schädigen Vertrauen in Parteien

Die Parteien sind die Säulen, auf denen unsere Demokratie ruht. Doch die Kluft zwischen Anspruch und Realität wird immer größer. " … sie tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser", wusste Heinrich Heine schon 1844 in seinem "Wintermärchen". Das ist neben demographischen Problemen die Hauptursache für rückläufige Entwicklung der Zahlen der Parteimitglieder: Da beschädigt ein Schnäppchen jagender Bundespräsident das höchste Staatsamt in einer kaum zu überbietenden Weise, da betrügen Spitzenpolitiker bei ihren Doktorarbeiten, und ein Rad fahrender Landesminister haut einem PKW-Lenker eine ans Maul. Ein Bundeskanzler und ein Innenminister reden von Recht und Ordnung und brechen gleichzeitig das Parteispendengesetz ohne dabei auch nur rot zu werden.

Grundsatzentscheidungen wie die Einführung des Euro werden aus Angst vor Ablehnung am Volk vorbei getroffen. Die Konzerne kaufen Strom zu vergünstigten Konditionen; ein Minister empfiehlt frierenden Armen, sich daheim doch eine dickere Strickjacke überzuziehen. In finanzielle Bedrängnis geratenen Banken werden Milliarden und Abermilliarden zugeschanzt, Hartz-IV-Empfänger werden penibel kontrolliert und beim kleinsten Vergehen bestraft. Da wird abgehört, dass einem schwindlig wird, und die Abhörer sagen, das alles wäre rechtens.

Von Basisdemokratie wird gern geredet, praktiziert wird sie kaum. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Die einzige Partei, die von Jahr zu Jahr immer mehr Zulauf erhält, ist die der Nichtwähler. Das ist eine verdammt reale Gefahr für die Demokratie. Wenn es so weiter geht, es das nicht heute und morgen, aber spätestens übermorgen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 das politische Geschehen für n-tv. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Manfred Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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