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"Scheinheilige Angstrepublik" Presseschau zum Opernskandal

"Stuttgarter Zeitung"

Inszenierungen, die auch religiöse Tabus verletzen, gehören zu den Freiheitsrechten unserer Gesellschaft. Wer dagegen protestieren will, kann das gewaltfrei tun. Alles andere ist Sache der Polizei. Punkt. Die entscheidende Frage in Berlin ist banal: Warum hat man nicht wie am Eingang zu jedem Volksfest oder Fußballstadion für mehr Sicherheit gesorgt? In Berlin werden zahllose öffentliche Einrichtungen bewacht. Bisher war die Oper nicht darunter, aber man hätte das zumindest vorübergehend ändern können. Warum hat man die Opernintendantin so allein gelassen, dass sie am Ende die Notbremse gezogen hat? Das müssten Sicherheitspolitiker wie Wolfgang Schäuble doch wissen, die den Berliner Skandal zum Symbol stilisieren wollen. Dass die Oper abgesetzt wurde, liegt am Versagen derjenigen, die in Berlin für Sicherheit verantwortlich sind.

"20cent" (Cottbus/Saarbrücken)

Dieser Fall ist ein unverzerrtes Spiegelbild der scheinheiligen Angstrepublik Deutschland. Ausgerechnet Wolfgang Schäuble und Konsorten nehmen jetzt die Deutsche Oper in Berlin aufs Korn. Weil die feige und verrückt sei und die demokratische Kultur gefährde. Doch waren es nicht gerade jene Politiker, die zuvor noch von einer hohen Gefahr in Deutschland geschwafelt haben? Schäuble wollte gar die Fußball-WM mit Flugzeugen bewachen und die Bundeswehr für innenpolitische Aufgaben missbrauchen. Der Innenminister schürte die Angst, um seine Interessen durchzusetzen. Das sind die Auswirkungen: Die Angst vor Ausländern (und damit auch der Haß auf sie) wächst. Bei jedem herrenlosen Koffer bricht der Bahnverkehr zusammen. Und in der Oper gibt es keine Idomeneo-Aufführung mehr. Vielen Dank, Herr Schäuble. Osama hätte das nicht besser gekonnt.

"Südwest Presse" (Ulm)

Diese Selbstzensur ist einmalig und verwerflich. Sie entsteht in einem Klima der Angst. Bald müssen wohl Opernintendanten zusammen mit dem Verfassungsschutz ihre Spielpläne durchforsten. Ein friedlicher Dialog der Religionen und Kulturen sieht jedenfalls anders aus. Aber Theater das muss man schon noch machen dürfen. Und wenn die Staatsgewalt diese Freiheit schützen muss.

"Nürnberger Nachrichten"

Wie Angehörige anderer Glaubensrichtungen müssen auch Muslime akzeptieren, dass Religion bei uns Privatangelegenheit ist. Kein vernünftiger Mensch wird die Trennung von Staat und Kirche wieder aufheben wollen. Die Grundrechte, die von den Nazis und den Kommunisten suspendiert wurden, stehen nicht zur Disposition; sie sind unverzichtbarer Bestandteil unserer politischen Kultur. Dazu gehört die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Rede. Im Übrigen gilt: Kein Christ oder Muslim wird gezwungen, sich den Berliner Idomeneo anzusehen. So wie keiner gezwungen ist, die Satanischen Verse von Salman Rushdie zu lesen. Aber wer die Oper sehen oder das Buch lesen will, muss das dürfen.

"Westfälische Nachrichten" (Münster)

So gehe das nicht, heißt es, die Freiheit der Kunst stehe auf dem Spiel. Das ist richtig, und ebenso richtig ist es, Mut einzufordern, weil man sich nicht vor dem Unrecht beugen darf. Aber die Gegenfrage lautet: Wer hätte die Verantwortung übernommen? Dass dem Theater geraten wurde, die entscheidenden Szenen nicht einmal zu beschreiben, zeigt, wie groß die Sorge der Behörde ist. Ihr hat sich die Intendantin angeschlossen. Vielleicht hat sie in ihrem Zwiespalt falsch gehandelt. Aber doch verantwortungsvoll.

"Mannheimer Morgen"

Das interreligiöse Gespräch kann nur konstruktiv sein, wenn sich alle muslimischen Gruppen klar zur Verfassung dieses Landes bekennen, zu seiner Rechtsordnung, die sich auf Gleichheit, Meinungsfreiheit und Toleranz gründet. Weder dürfen die Muslime unter Generalverdacht gestellt noch in Sippenhaft genommen werden für den Terror im Namen Allahs. Aber es wird von ihnen erwartet, dass sie sich unmissverständlich zur Gewaltlosigkeit bekennen. Die Konferenz wäre ein Erfolg, wenn die Radikalen isoliert und jene Gläubigen gestärkt würden, die für einen modernen und aufgeklärten Islam stehen.

"Nürnberger Zeitung"

Wegen Jesus, wegen christlicher Gefühle, macht sich das Berliner Musiktheater keine Sorgen, sieht es offenbar keinen Grund zum Anstoß, nein, nur Mohammed steht im Mittelpunkt. Entschuldigen, zurückweichen, begütigen? Das christliche Abendland hätte durchaus das Recht seine Grundwerte mit derselben Entschlossenheit zu behaupten, wie dies andere Weltanschauungen tun.

"Berliner Zeitung"

Die Absetzung der Oper ist aus mehreren Gründen gefährlich und töricht. Zunächst werden durch den vorauseilenden Gehorsam der Intendantin mögliche Terroristen erst darauf aufmerksam gemacht, was in ihrem Haus seit der Premiere im März 2003 immer mal wieder zu sehen war: Idomeneo präsentierte neben den abgeschlagenen Köpfen von Poseidon, Jesus und Buddha auch das Haupt Mohammeds. Publikum und Belegschaft der Deutschen Oper werden durch diese plötzliche Publizität viel mehr gefährdet als durch das Stück selbst, an dem kein Muslim bislang handfest Anstoß genommen hat. Gefährlich ist die Hasenfüßigkeit der Intendantin, weil sie für die winzige Minderheit von Muslimen, für die der Terror ein probates Mittel der politischen Auseinandersetzung darstellt, einen großen Triumph bedeutet.

"taz" (Berlin)

Es ist das gute Recht eines Intendanten oder einer Intendantin, ein Theaterstück aus künstlerischen Gründen oder aus Mangel an Resonanz vom Spielplan zu streichen. Auch das gehört zur Kunstfreiheit. Aber wenn als Begründung für die Absetzung eines Stücks die Angst vor gewalttätigen Reaktionen von islamistischer Seite genannt wird, dann müssen die Alarmglocken schrillen. Denn von einer konkreten Gefährdung war nichts bekannt, im Gegenteil. Ein Jahr lang stand das Stück bereits auf dem Spielplan der Deutschen Oper, ohne dass jemand daran Anstoß genommen hätte. Insofern ist das Beispiel aus Berlin symptomatisch: Die größte Gefahr für die Kunst-und Meinungsfreiheit in Deutschland geht nicht von radikalen Islamisten aus. Sondern von hasenfüßigen Intendanten.

"Der Tagesspiegel" (Berlin)

Der Kampf der Kulturen, den wir erleben, ist ein spezieller: Es ist der Kampf unserer freiheitlichen, freizügigen Kultur mit sich selbst. Man spürt bereits schmerzhaft die Einschränkung, wenn ein langer Opernabend, in den Orchestermusiker, Sänger, ein Dirigent, ein Regisseur und viele andere ihre Kraft und Kreativität stecken, auf ein Detail reduziert wird. Wenn ein benediktinischer Vortrag auf ein Zitat zusammenschrumpft. Solch ein bigottes Absuchen von Kunstwerken nach Stellen ist der größte Schaden. Auf seine Art zeigt auch Hans Neuenfels in seinem gebrandmarkten "Idomeneo": Die westliche Gesellschaft hat sich radikal des religiösen Diskurses entledigt. Den Unterschied muss man sehen, er ist in diesem Krieg der Köpfe entscheidend: Anderswo werden Menschen enthauptet, in der Oper Puppen. Man nennt es Zivilisation.

Quelle: ntv.de

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