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Zwischenruf 299 Spagat mit Grätschengefahr

von Manfred Bleskin

Zwei Botschaften kommen dieser Tage in Sachen Nah- und Mittelost aus Europa. Beide stammen aus jenen Staaten, die man als Lokomotiven der europäischen Integration zu bezeichnen pflegt. Beide zeigen jedoch, dass sie den Zug in eine jeweils andere Richtung fahren lassen wollen. Von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik sind wir also noch immer weit entfernt. Kein gutes Omen, denn in diesem Halbjahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft soll ja die nächste Station des Verfassungsvertrags angefahren werden. Beide Botschaften haben aber eines gemeinsam: den Adressaten.

Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin, G-8-Vorstand und amtierende EU-Ratspräsidentin, richtete ihre Message an die USA nicht etwa von Brüssel aus an George W. Bush. Sie war bei ihrer ersten Visite als erste EU-Europäerin - ein Novum - nach Washington gereist. Das Nahostquartett soll wiederbelebt werden. Bush stimmt zu. Vielleicht das einzige greifbare Ergebnis der Stippvisite.

Bushs französischer Kollege Jacques Chirac nutzte den Neujahrsempfang für die ausländischen Diplomaten in Paris als Plattform. Auch er ist für die Renaissance der Vierergruppe aus EU, Russland, UNO und USA. Aber Chirac will das, was auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier will: eine Komplexlösung, mithin eine neue Nahostfriedenskonferenz, die - zum Beispiel - das Libanonproblem nicht ausklammert und Syrien mit an den Tisch lädt. Bush und Merkel aber wollen Damaskus außen vor lassen. Weise, wie Bush seine Freundin aus Berlin findet, ist das nicht. Denn ohne eine Lösung der Golanfrage, um nur einen "casus belli" herauszunehmen, wird es keinen Frieden in der Region geben. Was dabei herauskommen kann, ist höchstens Stückwerk, das neuen Zündstoff in sich birgt.

Als Bush sich zwar über die Begleitumstände mokiert, die die Hinrichtung von Iraks Ex-Diktator Saddam Hussein begleiteten, das Ganze aber ansonsten gerecht empfindet, herrscht Schweigen im Merkelschen Walde. Sicher: Immer noch besser als der unwürdige Kotau des neuen UNO-Generalsekretärs Ban Ki Moon in Sachen Saddam-Exekution. Es wäre aber die Pflicht einer EU-Ratspräsidentin gewesen, die europäische Ablehnung der Todesstrafe öffentlich zu artikulieren. Auch sonst kein Wort zum Irak. Ein paar Fingerzeige vor der Presse hätten - vielleicht - etwas bewirkt bei der Suche der US-Administration nach einer "neuen" Strategie. Manchmal kann Reden auch Gold sein.

Chirac hingegen wird sehr direkt, wenn es um die Vereinigten Staaten und das Zweistromland geht. Was umso bemerkenswerter ist, als sein Premier Dominique de Villepin in dieser Angelegenheit ein in Paris heftig umstrittenes Techtelmechtel mit Bush pflegt. Der Irak-Krieg hat laut Chirac "die Stabilität der gesamten Region geschwächt" und stellt den "besten Nährboden dar, den sich Terroristen wünschen können". Der Krieg habe "Umwälzungen beschleunigt, die in ihren Wirkungen noch nicht abgeschlossen" seien. Chapeau!

Klare Worte sind, auch und gerade unter Freunden, die beste Grundlage für ein gemeinsames Handeln. Angela Merkel hingegen hat sich in einem Spagat versucht, bei dem sie leicht die Grätsche machen kann.

Quelle: ntv.de

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