Politik

Friedensaufstand in Berlin "Ist das Ziel die Vernichtung von Russland?"

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Sahra Wagenknecht neben ihrem Mann Oskar Lafontaine auf der Bühne am Brandenburger Tor, daneben Alice Schwarzer und Ex-General Erich Vad, der ebenfalls eine Rede hielt.

(Foto: dpa)

Um die Ukraine geht es bei der Friedenskundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer nur am Rande - sie ist allenfalls Schauplatz und Objekt, nicht Akteur. Für Wagenknecht sind ohnehin die USA an allem schuld.

Ein klares Feindbild kann bei einer Demo nicht schaden, auch die vom Freitag in Berlin, die für die Ukraine, hatte eines: Putin. Oder zwei, Putin und Russland. Das war nicht schlecht gewählt, schließlich hat Putins Russland die Ukraine überfallen.

Gleich mehrere Feindbilder hat die Kundgebung von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, die tags darauf am Brandenburger Tor stattfindet: den früheren ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, die USA, die Ukraine und natürlich die Bundesaußenministerin. "Ich seh' schon", freut sich Schwarzer in die Buh-Rufe, als sie über die Grünen-Politikerin spricht, "die Nennung des Namens von Annalena Baerbock ist hier eine sichere Bank".

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Die Kundgebung fand auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors in Berlin statt.

(Foto: IMAGO/epd)

Tatsächlich wird mehrfach "Baerbock muss weg" skandiert, anders als am Vortag, wo eher der Slogan "Russia is a terrorist state", Russland ist ein Terrorstaat, dominierte. Auf die Idee, einen solchen Satz zu sagen, käme hier wohl niemand. Auch ukrainische Flaggen sind klar unterrepräsentiert. Dafür sieht man ein paar russische, auch deutsch-russische Freundschaftsfähnchen, Plakate und Fahnen der Linkspartei. Der Herausgeber des "Compact-Magazins", Jürgen Elsässer, ist ebenfalls angereist, um Werbung für sein Blättchen und seine Gesinnung zu machen: Der Verfassungsschutz stuft das Heft als rechtsextremistisch ein.

"Nazis raus"

Wie viele der nach Polizeischätzung 13.000 und laut Wagenknecht 50.000 Teilnehmer Sympathien für Rechtsradikale haben, lässt sich nicht sagen - eine optische Dominanz solcher Figuren gibt es aber nicht. Vor Elsässer und seinem Plakat bauen sich rasch andere Demonstrierende mit Linken-Plakaten auf und rufen "Nazis raus". Dessen Zeitschrift sei "ein Nazi-Magazin, wir wollen nicht, dass die hier sind", sagt einer.

Auch Wagenknecht distanziert sich von Rechtsradikalen: Neonazis und "Reichsbürger" hätten auf dieser Friedensdemo nichts zu suchen, sagt sie in ihrer Rede. "Das versteht sich aber wohl von selbst, dachte ich." Um hinzuzufügen: "Aber genauso sage ich auch: Jeder, der ehrlichen Herzens mit uns für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren will, ist hier willkommen. Daraus soll man nicht eine so dumme Debatte machen, es nervt mich, auf welchem Niveau in Deutschland inzwischen diskutiert wird."

Querfront mit Bandera

Dann dreht Wagenknecht diese "dumme Debatte" um: Nicht sie sei "rechtsoffen" und bilde eine "Querfront" aus Rechts- und Linksradikalen, sondern die Gegenseite tue dies. Sie wirft Melnyk "und anderen Größen dieses Landes" - gemeint ist die Ukraine - vor, "keinen Hehl" daraus zu machen, "dass sie beispielsweise in dem Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera einen nationalen Heroen sehen".

Das muss man erklären: Bandera war einer der wichtigsten Anführer der Organisation Ukrainischer Nationalisten, die 1929 in Wien gegründet wurde und einen unabhängigen ukrainischen Staat erkämpfen wollte. "Die Ideologie dieser Organisation war faschistisch, antisemitisch, antirussisch und antipolnisch", erläuterte die Historikerin Franziska Davies im vergangenen Jahr im Interview mit ntv.de. Milizen, die Bandera nahestanden, beteiligten sich im Zweiten Weltkrieg an der Vernichtung der Juden und waren verantwortlich für die Ermordung von Zehntausenden Polen. Davies wies auch darauf hin, dass die Ukraine erst seit den 1990er Jahren die eigene Beteiligung am Holocaust aufarbeite - und dass Bandera auch in der Ukraine sehr umstritten sei.

Melnyk hatte Bandera in seiner Zeit als Botschafter als ukrainischen "Freiheitskämpfer" bezeichnet und dessen Verantwortung für Massaker an Juden und Polen verneint. Gegenüber dem "Spiegel" räumte er später ein: "Sie haben recht - die Person Bandera müsste neu beleuchtet werden".

Das ist die Debatte, auf die Wagenknecht sich bezieht, als sie sagt, ein solcher Mann werde "von Melnyk und anderen verehrt, und unsere Kriegstrommler machen sich mit denen gemein und erzählen uns etwas über Querfront und Rechtsoffenheit". Andeutungsweise übernimmt Wagenknecht mit ihrem Raunen Putins Erzählung, in Kiew herrsche ein Regime von "Faschisten" und "Banderisten".

Russland würde Atomkrieg höchstens "aus Versehen" auslösen

Um die Ukraine als Opfer in diesem Krieg geht es bei Wagenknecht weniger. "Natürlich muss auch Putin bereit sein zu Verhandlungen und Kompromissen. Die Ukraine darf kein russisches Protektorat werden." Wie bereits bei den Neonazis und "Reichsbürgern" folgt auch hier ein Aber. Unter Berufung auf den früheren israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett sagt sie: "Aber nach allen Berichten, die wir über die Friedensverhandlungen im Frühjahr haben (…), muss man sagen, die sind offensichtlich damals nicht an der russischen Seite gescheitert." Es gibt solche Berichte. So eindeutig wie Wagenknecht tut, ist die Sache jedoch keineswegs, im Gegenteil: Bennett selbst sagte, es sei "unklar, ob es überhaupt einen Deal gab, der gemacht werden konnte".

Es gehe darum, das Sterben in der Ukraine zu beenden, sagt Wagenknecht weiter, "aber es geht auch darum, das Risiko einer Ausweitung dieses Krieges auf ganz Europa, womöglich auf die ganze Welt, dieses Risiko zu bannen, und es ist verdammt groß, dieses Risiko".

Ihre Warnung vor einem Atomkrieg bezieht Wagenknecht nicht auf Russland. Zumindest versäumt sie es, darauf hinzuweisen, dass Putin bereits mehrfach mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht hat. "Wir alle wissen doch, es kann ja tatsächlich mal eine russische Rakete sogar aus Versehen jenseits der Ukraine einschlagen. Und was passiert dann? Haben wir dann den Bündnisfall? Haben wir dann den Weltkrieg?" In dieser Darstellung könnte Russland allenfalls "aus Versehen" einen Atomkrieg auslösen - die Hauptschuld trüge der Westen mit seiner Reaktion.

Schuld sind immer USA und NATO

Überhaupt geht es Wagenknecht zufolge "nicht um hehre Werte in diesem Krieg, sondern um die NATO und den Umfang der amerikanischen Einflusszone". Mit dieser Darstellung hatte die Kundgebung schon begonnen: In einer von Wagenknecht angekündigten Videobotschaft verkündet der US-Ökonom Jeffrey Sachs, dass der Krieg nicht am 24. Februar angefangen habe, sondern schon 2014. Gerade jetzt, zum Jahrestag, ist das häufig betont worden.

Sachs meint allerdings nicht die russische Annexion der Krim und den Donbass-Krieg als Ausgangspunkt. Er meint den "Staatsstreich" gegen den damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Der sei von den USA inszeniert worden und der wahre Beginn des Kriegs, wärmt Sachs eine alte russische Erzählung auf. In der Ukraine wird dieser "Staatsstreich" als Maidan-Revolution erinnert. Hier jedoch ist die Ukraine als handelnder Akteur nicht vorstellbar.

"Zunächst" waren die Waffenlieferungen richtig

Auch der Krieg in der Ukraine ist bei dieser Friedenskundgebung nur ein abstrakter Gräuel. Ein Redner, Hans-Peter Waldrich, ein Friedensbewegter aus den 1980er-Jahren, sagt: "An den Fronten massakriert sich die ukrainische und die russische Jugend." Dann folgt eine seltsame Passiv-Konstruktion, die offenlässt, wer hier handelt: "Im Hinterland wird zerstört, getötet und vergewaltigt." Unerwähnt bleibt auch, wie dieses "Hinterland" eigentlich heißt.

Alice Schwarzer macht es ganz ähnlich: "Letztendlich geht es ja in jedem Krieg, egal welcher Seite, um Interessen und Macht, um Pfründe und Geopolitik", sagt sie in ihrer Rede. "Für die Menschen aber geht es um ihr Leben." Deshalb sei es "durchaus richtig" gewesen, "den von Russland brutal überfallenen Ukrainern mit Waffen zur Seite zu stehen - zunächst, um sich zu verteidigen". Es ist ein seltener Moment der Empathie auf dieser Kundgebung.

Genauso richtig sei es aber, fährt Schwarzer fort, nach dem Ziel und der Verhältnismäßigkeit des Kriegs zu fragen. Und sie fragt: "Ist das Ziel der Rückzug der Russen aus den seit dem 24. Februar 2022 besetzten Gebieten? Das wäre legitim und durchaus in Verhandlungen von beiden Seiten und mit Kompromissen zu erreichen. Oder ist das Ziel nicht nur die Schwächung, sondern die Vernichtung von Russland? Das wäre weder legitim noch realistisch." Es sind nur Fragen, doch einzuwenden wäre, dass niemand - die USA nicht, Baerbock nicht und auch nicht Melnyk - eine "Vernichtung" Russlands fordert. Gefordert wird vom Westen lediglich der von Schwarzer als legitim bezeichnete Rückzug der Russen.

"Es geht um die Existenz der Welt"

Wagenknecht erhofft sich von der Kundgebung den "Startschuss für eine neue, starke Friedensbewegung". Das Motto der Veranstaltung, "Aufstand für Frieden", erinnert an ihr Projekt "Aufstehen" von 2018, mit dem sie eine "Sammlungsbewegung" auf die Beine stellen wollte.

Für den Frieden brauche man "keine Panzer, dafür braucht man Diplomatie", sagt sie, und das sehen offensichtlich viele Menschen in Deutschland genauso: Mehr als 600.000 Menschen haben das "Manifest für Frieden" von Wagenknecht und Schwarzer unterzeichnet. Nur: Was passiert mit der Ukraine, wenn sie keine Waffen mehr bekommt, um sich zu verteidigen? Diese Frage stellen die Rednerinnen gar nicht erst. Ihr zentraler Punkt ist die globale Sicherheit: "Jetzt geht es um noch mehr als die friedliche Existenz der Ukraine, jetzt geht es um die Existenz der Welt", sagt Schwarzer. Sie geht offenbar davon aus, dass Putin zufrieden wäre, wenn der Westen die Ukraine fallen ließe. Vor einem Jahr sagte Wagenknecht: "Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird. Nämlich ein durchgeknallter, russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben." Davon scheinen sie und Schwarzer noch immer auszugehen.

(Dieser Artikel wurde am Samstag, 25. Februar 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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