Zwischenruf Weiße Salbe statt Radikalkur
17.11.2010, 14:23 Uhr
Ein Spaziergänger in Dublin vor einem geschlossenen Geschäft.
(Foto: REUTERS)
Zyklische Krisen sind im Kapitalismus eigentlich nichts Besonderes. Neu aber ist, dass die Abstände zwischen Hoch und Tief immer geringer werden, und dass das Hoch bei Lichte besehen wenig mehr ist als ein kleiner Hügel. So alt wie die Krisen aber sind die Versprechen der Regierenden, etwas zu unternehmen, damit sich "so etwas" nicht wiederholt. Da machen Bundesregierung und Europäische Union keine Ausnahme.
Als im Frühjahr in Griechenland die Luft brannte, trug die wahltaktisch begründete Zögerlichkeit der Bundeskanzlerin dazu bei, die Kosten für den Rettungsschirm zu erhöhen: Weil Rating-Agenturen Hellas’ Finanzen weiter munter schlecht schrieben und Spekulanten ebenso munter auf einen Staatsbankrott wetteten, wurde immer mehr Geld erforderlich. Genützt hat es Jürgen Rüttgers überhaupt nichts. Gekostet hat es aber den Steuerzahler sehr viel mehr.
Nun also das Dauersorgenkind . Abermals wird diffus von "den Märkten" geschwafelt, welche die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen von einem Tag auf den anderen um das 44fache (!) in die Höhe schnellen ließen. Investments in irische Bonds werden immer riskanter. Das treibt die Zinsen in astronomische Gefilde. Es sind aber nicht "die Märkte", es sind Finanzspekulanten aus Banken und anderen Instituten, die um des Höchstprofits willen über Leichen gehen. Den Boden bereitet hatte Deutschland mit seinem Vorschlag auf dem jüngsten EU-Gipfel in Brüssel, klammen Euro-Staaten eine Art Insolvenzverfahren zu ermöglichen und private Investoren künftig an Rettungsschirmen zu beteiligen. Gelten sollte das zwar erst ab 2013, aber das Kapital ist bekanntlich so scheu wie ein Reh und reagierte sofort.

Die Immobilienblase ist geplatzt.
(Foto: AP)
Der irische Staat ist mit 32 Prozent des BIP dramatisch hoch verschuldet, benötigt jedoch nach eigener Aussage vor Mitte nächsten Jahres kein frisches Geld. Es sind die Schulden der sechs großen Banken des Landes, die nur durch Staatshilfen vor der Pleite gerettet werden konnten, und die nun das Gespenst des Staatsbankrotts am Horizont aufscheinen lassen. Richtig ist: Als der keltische Tiger noch brüllte, war es der uneingeschränkte Marktliberalismus eines Premiers Bertie Ahern, der die Grüne Insel zum schwarzen Straßenkater machte.
Doch nun sind es ausländische Banken und Rating-Agenturen, die aus dem Unglück Profit saugen. Nach Griechenland und neben den Wackelkandidaten Italien, Portugal und Spanien schießen sich Jäger wie Standard & Poor’s jetzt auf Zypern ein, das eine Menge griechischer Staatsanleihen sein Eigen nennt.
Solange nur großspurig verkündet wird, den Spekulanten "die Folterinstrumente" zeigen zu wollen, wird sich nichts ändern. Statt sie aber anzuwenden, wird das irische Problem mit weißer Salbe in Gestalt eines Rettungsschirms behandelt. Solange, bis der Schirm entzweigeht und wir alle im Regen stehen.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de