Person der Woche Jens Spahn: From Hero to Zero to Kampfabstimmung
10.08.2021, 10:21 Uhr
Jens Spahn erlebt in der Pandemie eine politische Achterbahnfahrt. Anfänglich läuft es gut, im Dezember 2020 zeigen ihn Umfragen sogar als beliebtesten deutschen Politiker. Dann kommt ein brutaler Absturz. Und nun, mit dem Erfolg der Impfkampagne, ein Comeback. Wo führt das hin?
Es war kurz nach Weihnachten, da zog Jens Spahn in den Umfragewerten sogar an Angela Merkel vorbei auf Platz eins in der deutschen Beliebtheitsskala. Nach Ansicht der Deutschen hatte er seine Sache in den ersten Monaten der Pandemie gut gemacht, eine Mehrheit wünschte ihm ausdrücklich eine "möglichst große Wirkung" für 2021. In der Union kursierten sogar Überlegungen, ob er nicht doch an Stelle von Armin Laschet CDU-Kanzlerkandidat werden solle. Die Karriere des 41 Jahre alten Münsterländers schien spektakulär früh spektakulär hoch hinaus zu streben.
Doch dann folgte ikarusgleich ein ebenso fulminanter Absturz. Spahn durchlitt ein erstes Quartal 2021, das ihn beinahe Amt und Ansehen gekostet hätte. Die zweite und die dritte Welle der Corona-Pandemie ließen die Stimmung im Land kippen. Die Maskenaffäre in der Union untergrub das Vertrauen in die Regierung, Fehler im europäischen Impfstoffmanagement verärgerten die Bevölkerung und dann geriet er auch noch persönlich zwischen die Wahlkampfmühlen. Ein Spendendinner sowie der private Kauf einer Millionen-Villa in Berlin schienen der Anfang vom Ende seiner Karriere. Die Presse witterte einen Skandal, der am Ende keiner wurde.
Die SPD guckte ihn offensiv als Corona-Sündenbock, Organisationsversager und vermeintlichen Masken-Ganoven aus. Grüne und Linke heizten zusätzlich ein - und alle, die schon immer ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatten, stimmten plötzlich ins allgemeine Spahn-Bashing ein. Verteidigen wollte ihn plötzlich kaum noch einer - die CSU nicht, schließlich war er im Laschet-Lager, und die Kanzlerin auch nicht, war er doch ein Rädelsführer im innerparteilichen Widerstand gegen ihre Migrationspolitik. Bis Ostern war daher das öffentliche Bild von Jens Spahn so ramponiert, dass von dem weihnachtlichen Beliebtheitsmeister kaum mehr als ein Kabinettsüberlebender übrig bleib - "Scheuer 2" witzelten seine Gegner in Berlin bereits.
Spahn setzt auf die Impfkampagne
Doch Spahn überlebte nicht bloß. Er zeigte in der Krise auch etwas, das in der Politik zuweilen alles bedeutet: Resilienz. Er bewies Sturm- und Krisenfestigkeit, gab tapfer den konzentrierten Corona-Manager und setzte alles auf eine Karte: die Impfkampagne. Früh versprach der Gesundheitsminister, dass alle Deutschen bis zum Sommer ein Impfangebot bekommen würden. Bis in den Frühsommer hinein hat ihm das niemand geglaubt, die Bevölkerung nicht, die Medien nicht, die Ministerpräsidenten nicht, und die Kanzlerin schon gar nicht. Doch Spahn sollte Recht behalten.
Die Impfkampagne ist zum Game-Changer der Pandemie geworden. Und mit jeder Woche, da die Impfzahlen steigen und die Pandemie ihren Schrecken verliert, steigt auch die Zustimmung zu Jens Spahn wieder. Plötzlich erinnert man sich sogar daran, dass er es war, der schon im Frühjahr 2020 gezielt auf Biontech zugegangen war und dem deutschen Sensationsunternehmen - auch in Brüssel - die politischen Bahnen freigeräumt hatte. Und nun wächst Spahn in die Rolle des neuen Freiheitsapostels, der Deutschland endlich von der Kandare enger Corona-Inzidenzwerte, die mit jedem Geimpften absurder wird, erlösen will.
Kurzum: Er ist zurück im Spiel der Macht. In der Unionsfraktion meldet sich sein altes Netzwerk und schmiedet neue Pläne. Eine Gruppe CDU-Abgeordneter - vor allem jüngere Semester - wollen ihn nach der Bundestagswahl zum Fraktionschef wählen. Der Posten ist freilich von Ralph Brinkhaus besetzt - und dieser erklärt offensiv: "Ich möchte gerne Fraktionsvorsitzender bleiben."
Machtkampf gegen Brinkhaus
Es bahnt sich also eine Kampfabstimmung an. Und deren Auftakt konnte man bereits beim Gerangel um die CDU-Landesliste in Nordrhein-Westfalen verfolgen. Hinter Kanzlerkandidat Armin Laschet (Platz 1 für einen Mann) und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (Platz 2 für eine Frau) stellte sich die Frage, welcher Mann die Nummer 3 besetzen darf. Friedrich Merz hatte gleich ganz auf jeden Listenplatz verzichtet und selbstbewusst auf einen eigenen Wahlsieg in seinem Hochsauerland-Wahlkreis gesetzt.
Ralph Brinkhaus (Wahlkreis Gütersloh I) erkämpfte sich daraufhin den begehrten 3. Platz, Jens Spahn (Wahlkreis Steinfurt - Borken) musste sich dahinter einreihen. Auf der Homepage vom Kreisverband Gütersloh lässt Brinkhaus nun demonstrativ veröffentlichen: "Ralf Brinkhaus wurde mit überzeugenden 98% auf Platz 3 gewählt. Hinter ihm folgt auf Platz 4 Gesundheitsminister Jens Spahn." Soll heißen: Punktsieg für den Amtsinhaber. Denn Spahn hat "nur" 97,4 Prozent der Stimmen erhalten. Dass Spahn in Wahrheit um des lieben Parteifriedens willen in letzter Minute seinen Anspruch auf Platz 3 zurückgezogen hatte, wird nicht erwähnt. Das Rückspiel Brinkhaus vs. Spahn dürfte unmittelbar nach der Bundestagswahl folgen, wenn eine neue Fraktion ihren neuen Chef kürt.
Dabei wird es auch darauf ankommen, wie sich die Parteivorsitzenden von CDU und CSU positionieren. Spahn scheint auf eine Rückendeckung Laschets zu setzen - Söder hingegen dürfte im Machtkampf eher nicht auf Seiten Spahns stehen. In der Fraktion selbst ist der Rückhalt beider eher brüchig. Je nach Wahlausgang könnte es daher auch zu einer Überraschung mit einem dritten Kandidaten kommen. Die bewegten Zeiten für Jens Spahn dürften so schnell nicht enden.
Quelle: ntv.de