Person der Woche

Person der Woche: Schiappa "Playboy"-Eklat soll Macron in der Not helfen

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Massenproteste erschüttern Frankreich. Plötzlich sorgt das Titelbild des "Playboy" für Wirbel: Eine Ministerin ist Covergirl und löst einen sehr französischen Skandal aus. Zuvor hat sich der zuständige Rentenreform-Minister als schwul geoutet. Macron kommen die Ablenkungen auffallend gelegen.

Das aktuelle Titelbild des Pariser "Playboy" sorgt in Frankreich für helle Aufregung. Der Grund: Staatssekretärin Marlène Schiappa ist auf dem Cover. Sie war von 2017 bis 2020 erste Ministerin für Gleichberechtigung. Heute ist sie Staatssekretärin für Sozial- und Solidarwirtschaft und gibt dem Herren-Magazin ein freizügiges Interview über Feminismus und Frauenrechte.

Marlène Schiappa ist Staatssekretärin für Sozial- und Solidarwirtschaft.

Marlène Schiappa ist Staatssekretärin für Sozial- und Solidarwirtschaft.

(Foto: picture alliance / abaca)

Der schlüpfrige Vorgang sorgt für einen Eklat und heftige Debatten. Konservative halten es für peinlich, wenn ein Regierungsmitglied derart im Playboy auftaucht. Selbst die Premierministerin Élisabeth Borne ließ wissen, das Interview sei "nicht angemessen". Linke und Grüne kritisieren den "Playboy"-Auftritt als Verhöhnung der Franzosen in sozial schweren Zeiten. So meint die Grünenpolitikerin Sandrine Rousseau: "Wo bleibt der Respekt vor dem französischen Volk?" Die Menschen in Frankreich demonstrierten derzeit massenweise, weil sie zwei Jahre länger arbeiten sollen; außerdem wüssten viele nicht, wie sie angesichts der Inflation Essen auf den Tisch stellen sollen.

Feministinnen wiederum halten Schiappas mediale Bühne für Verrat. Dass eine engagierte Feministin wie Schiappa ausgerechnet den "Playboy", der wegen seines Frauenbildes seit Jahrzehnten von der Emanzipationsbewegung kritisiert wird, zu ihrem Sprachrohr mache, sei erniedrigend und billige Effekthascherei. Tatsächlich ist Schiappa seit vielen Jahren feministisch aktiv, sie ist Gründerin und Vorsitzende der Netzwerkes Maman travaille ("Mama arbeitet") und Autorin zahlreicher Gleichstellungs-Bücher. In ihrem Regierungsamt initiierte sie ein "Gesetz zur Verstärkung des Kampfes gegen sexuelle und sexistische Gewalt", das 2018 in Kraft trat und auch "Loi Schiappa" (le loi bedeutet "das Gesetz") genannt wird. Seither gelten sexistische Beleidigungen als Straftat und Geschlechtsverkehr mit Personen unter 16 Jahren als Vergewaltigung.

Alles nur "Ablenkung"?

Der weiträumigen Kritik begegnet Schiappa offensiv: "Ich verteidige das Recht der Frauen, mit ihrem Körper zu tun, was sie wollen: überall und jederzeit." Und weiter: "In Frankreich sind die Frauen frei. Ob es die Rückwärtsgewandten und Heuchler ärgert oder nicht" Beistand bekommt sie von ihrem direkten Vorgesetzten, Innenminister Gérald Darmanin. Schiappa habe Stil und Charakter. "Eine befreite Frau zu sein, ist nicht so einfach."

Präsident Emmanuel Macron schweigt bislang zu dem Vorgang, dürfte sich aber über die wilde Debatte insgeheim freuen. Denn der plötzliche Themenwechsel in der französischen Öffentlichkeit nimmt Druck von seiner politischen Agenda. Plötzlich sind die heftigen Konflikte um Macrons Rentenreform nicht mehr erste Nachricht der Republik. Schiappas Umfeld spricht von einer "disruptiven Kommunikation" und hebt ihre "Kühnheit" hervor. Jean-Luc Mélenchon, Oppositionspolitiker des Linksbündnisses Nupes, durchschaut die Absicht und beklagt bereits, das "Playboy"-Cover sei reine politische "Ablenkung". Macrons Regierung befinde sich mit der Rentenreform in einer "Sackgasse" und dem größten sozialen Konflikt seit 50 Jahren. Daher starteten sie Ablenkungsmanöver.

Tatsächlich reiht sich die "Playboy"-Aktion in eine Serie von merkwürdigen Medienauftritten der Macron-Regierung in der Krise. Vor wenigen Tagen gab Präsident Macron ausgerechnet im Comic-Heft "Pif Gadget" ein Interview, das als deplatziert empfunden wurde. Zudem warb der wegen der Rentenreform umstrittene Arbeitsminister Olivier Dussopt in einem - forciert wirkenden - Coming-out im Schwulenmagazin "Têtu" seinerseits mit einem Titelfoto um Sympathien.

Sex als Stilmittel der Macht

Mit Agendasetting und Themenwechsel Krisen zu beenden, ist vor allem in modernen Mediendemokratien ein probates Mittel. Sex und der Geschlechterkampf sind für Frankreich dabei bestens geeignet, schließlich ist die Libertinage der französischen Gesellschaft eine Identitätsfrage. Seit den Tagen der Marquise de Pompadour bilden Erotik und Macht in Frankreich ein besonderes Paar. Ludwig XIV., der für sich in Anspruch nahm, den Staat zu verkörpern, brachte es auf 17 Kinder mit zahlreichen Frauen, sein Nachfolger Ludwig XV. auf mehr als 20, wobei nur die anerkannten Nachkommen zählen und die Zahl der Geliebten Kompaniestärke erreichte.

Könige, Präsidenten und Machthaber haben in Frankreich mehr als andernorts danach gestrebt, immer auch "hommes à femmes", Männer der Frauen, sichtbare Figuren von Virilität zu sein. So brachte Präsident François Mitterrand jahrelang eine uneheliche Tochter auf Staatskosten im feinen 16. Arrondissement unter, Nicolas Sarkozy inszenierte seinen Damentausch von Frau Sarkozy zur Schauspielerin und Sängerin Carla Bruni, Präsident François Hollande wiederum kürte seine Freundin Valérie Trierweiler zu einer nicht ganz offiziellen First Lady, ehe er nachts auf dem Motorroller zum amourösen Stelldichein mit der Schauspielerin Julie Gayot brauste.

Präsident Jacques Chirac, dessen Seitensprünge ihm den Spitznamen "Monsieur fünf Minuten, einschließlich Dusche" eintrugen, schaffte damit 2002 dennoch die Wiederwahl. Präsident Valéry Giscard d'Estaing heizte selbst die Gerüchteküche an, als er einen Roman schrieb und ihm den Titel "Die Prinzessin und der Präsident" gab. Obwohl er danach versicherte, die Geschichte in dem Buch sei erfunden, wurde breit über eine Affäre Giscard d’Estaings mit der später tödlich verunglückten Prinzessin Diana spekuliert.

Schiappa stellt das Spiel auf den Kopf

Auch der ehemalige Premierminister (2017 bis 2020) und Macron-Unterstützer Édouard Philippe schrieb jüngst ein Buch mit dem Titel "Im Schatten". Dort blickt er hinter die Kulissen des politischen Lebens und verbreitet Zitate, die in anderen Ländern den politischen Tod bedeuten würden. So lässt er jemanden über die Pressesprecherin einer Partei sagen: "Marilyn hat einen kleinen Busen. Normalerweise mag ich das nicht so. Mein Ding sind, ich gebe es zu, eher etwas füllige Brüste. Nicht erdrückend und schlaff, nein, nicht so schwer, dass sie hängen, sondern irgendwie erhaben."

Die Autoren Christophe Deloire und Christophe Dubois analysieren in ihrem Buch "Sexus Politicus" das extrovertierte Sexualverhalten französischer Politiker. Ihre These zur Besonderheit der französischen politischen Kultur: Ein erfolgreicher Politiker ist in Frankreich ein verführerischer Politiker, er liebt und wird geliebt.

Genau dieses Prinzip der Macht-Männer dreht Marlène Schiappa nun demonstrativ um und gewinnt damit Sichtbarkeit und Deutungsmacht. Und ganz nebenbei entschärft sie ihrem Chef Macron den sozialen Sprengstoff der März-Unruhen.

Quelle: ntv.de

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