Person der Woche Showdown mit Sahra Wagenknecht - die Linke steht vor der Spaltung
18.07.2023, 10:01 Uhr Artikel anhören
Der Linkspartei droht eine spektakuläre Spaltung. Sahra Wagenknecht steht nach Angaben ihrer Unterstützer unmittelbar vor der Gründung einer neuen Partei. Demoskopen sagen gewaltige Chancen voraus. Die Linke kontert mit einer waghalsigen Personalie.
Der große Knall könnte offenbar bald kommen. Sahra Wagenknecht plant nach Angaben ihrer Unterstützer die "zeitnahe Gründung einer neuen Partei". In einem Sommer-Interview mit der "Südwest-Presse" befeuert Wagenknecht die Spekulationen offensiv: "Ich würde mich freuen, wenn all den Wählern, die sich zurzeit durch keine Partei mehr wirklich vertreten fühlen, bald wieder ein seriöses politisches Angebot zur Verfügung steht." Wagenknecht will angeblich mit ihrer neuen Partei bei der Europawahl 2024 erstmals deutschlandweit antreten. Dabei gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde, sodass ein direkter Einzug ins Europa-Parlament wahrscheinlich würde.
Der Wagenknecht-Unterstützerkreis hat sich offenbar in den vergangenen Tagen fester formiert. Dutzende von Mandatsträgern der Linkspartei hätten sich bereit erklärt, mit Wagenknecht in die neue Partei zu wechseln, darunter der Ex-Bundesvorsitzende Klaus Ernst. "Wenn mit Sahra Wagenknecht eine neue linke Partei entsteht, werden sich ihr sicher viele Mitglieder und Mandatsträger anschließen", sagte Ernst der "Münchner Abendzeitung". "Auch ich kann mir gut vorstellen, einer solchen Partei beizutreten."
Eine neue Partei unter Führung Wagenknechts könnte laut Ernst auch viele ansprechen, die die Linke bereits verlassen haben, und sei außerdem "weit über das Linken-Spektrum hinaus für viele Wähler interessant". Klaus Ernst kritisiert den derzeitigen Kurs der Linken: "Statt sich um die Interessen der einfachen Menschen zu kümmern, stellen wir Themen in den Vordergrund, die mit deren Lebenswirklichkeit kaum etwas zu tun haben. Statt grüner sein zu wollen als die Grünen, gegen eine Automobilausstellung zu demonstrieren oder Leute von oben her zu behandeln, weil sie nicht gendern, sollten wir uns viel mehr um gute Arbeit, faire Löhne und ausreichende Renten kümmern." Das wäre dann "der Job einer Partei mit Sahra Wagenknecht".
Linke könnte Fraktionsstatus verlieren
Der Unterstützerkreis von Wagenknecht reicht von Bundestagsabgeordneten wie Alexander Ulrich (Kaiserslautern) bis zu Manfred Seel, Spitzenkandidat der Linken für Schwaben bei der Landtagswahl in Bayern. Dutzende von Kommunalpolitikern aus Ostdeutschland und mindestens fünf Abgeordnete der Bundestagsfraktion wollen - den Angaben zufolge - Wagenknecht ebenfalls folgen. Selbst die Fraktionschefin Amira Mohamed Ali liebäugelt mit einem Neuanfang. Für die Bundestagsfraktion mit ihren derzeit 39 Abgeordneten wäre das eine Existenzfrage. Falls Wagenknecht die Fraktion verlässt und nur zwei weitere Abgeordnete ihr folgen, dann würde die Linke ihren Fraktionsstatus im Bundestag verlieren.
Noch gefährlicher aber scheint die Breitenwirkung einer linkspopulistischen Parteineugründung. Nach Umfragen kann sich jeder fünfte Deutsche vorstellen, für eine solche Gruppierung zu stimmen - unter Linken-Anhängern ist es sogar jeder zweite, bei der AfD sind es 60 Prozent. In Thüringen würden einer Umfrage zufolge 25 Prozent eine Wagenknecht-Partei wählen. Damit wäre sie die stärkste Kraft, noch vor der vom Rechtsextremisten Björn Höcke geführten Landes-AfD - statt 32 Prozent wie in aktuellen Umfragen, käme diese dann nur mehr auf 22 Prozent.
Linke will mit Carola Rackete kontern
Die sich verdichtenden Gerüchte zur Parteigründung sorgen in der Linkspartei für große Unruhe. Die Parteispitze will die große Prominenz von Wagenknecht durch eine andere prominente Personalie gezielt kontern. So soll die bekannte Flüchtlingshelferin und Klimaaktivistin Carola Rackete als Spitzenkandidatin für die Europawahl im kommenden Jahr und damit womöglich direkt gegen Wagenknecht antreten. Rackete wurde 2019 international bekannt, als sie mit Flüchtlingen auf dem Schiff "Sea-Watch 3" die Insel Lampedusa anlief - trotz eines Verbots der italienischen Behörden. Es folgte ein Strafverfahren gegen die Flüchtlingshelferin, die in vielen Medien damals nur die "Kapitänin" genannt wurde.
Doch die Personalie ist für die Linke auch ein Risiko. Denn Rackete steht für eine Politik radikal offener Grenzen und einer ungebremsten Massenzuwanderung. Diese Haltung wird an der Basis der Linkspartei aber nur von wenigen geteilt. Sahra Wagenknecht hingegen steht für eine drastische Begrenzung der Zuwanderung. In dem Interview mit der "Südwest-Presse" erklärte sie: "Wir können das Problem der Armut auf der Welt nicht durch Migration lösen. Viele Städte und Gemeinden sind schon heute überfordert. Wir haben schlicht nicht genügend Wohnungen, Kita- und Schulplätze. Und betroffen sind am Ende nicht die teuren Großstadtviertel, wo die Grünen-Wähler wohnen, sondern ärmere Bezirke. Dort gibt es immer mehr Grundschulen, an denen nur noch eine Minderheit Deutsch spricht, mit allen Folgen für das Lernniveau. Dass Eltern empört sind, wenn man ihren Kindern so einen vernünftigen Start ins Leben verbaut, ist verständlich. Deshalb müssen wir Zuwanderung begrenzen." Während Rackete auf lautstarken Klima-Aktivismus setzt, mobilisiert Wagenknecht neben der Migrationsfrage auch mit ihrer Kritik an der Kriegsunterstützung der Ukraine. Bei beiden Themenfeldern erfährt sie auch Zuspruch von AfD-Wählern.
Politische Beobachter erwarten bei einer Parteigründung Wagenknechts nicht nur einen spektakulären Showdown zwischen den beiden prominenten Galionsfiguren Rackete und Wagenknecht, sondern auch die historische Spaltung der Linkspartei. Das Risiko der Linkspartei, bundespolitisch damit zu verschwinden, wäre groß. Schon bei der letzten Bundestagswahl erreicht die Linke nur noch 4,9 Prozent der Stimmen. Wahlforscher sagen aber zugleich voraus, dass mit einer Wagenknecht-Partei auch die AfD erheblich leiden und ihren Höhenflug schlagartig beenden könnte. Das Protestlager der politisch extrem Denkenden würde sich spalten. Deutschland hätte dann eine rechts- und eine linksradikalpopulistische Partei.
Quelle: ntv.de