Wieduwilts Woche Boris Pistorius: Ein Mann wie eine Munitionskiste


Nach einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen gibt Verteidigungsminister Pistorius am Mittwoch in Warschau ein Statement ab - allein. Er reist aus Kiew an, das er zuvor besucht hatte.
(Foto: dpa)
Deutschland hat endlich wieder einen Kerl an der Spitze der Bundeswehr und er ist beliebt wie niemand sonst. Wie macht er das?
Boris Pistorius! Gibt es einen Mann, der besser auf sein Amt passt als er? Klar: Er ist gerade drei Wochen im Amt, hat noch immer nicht Russland besiegt, was kann man da schon über ihn sagen? Eine Menge, und zwar ganz besonders in dieser Woche.
Der Name Boris Pistorius allein - so könnte man auch eine römische Kriegsgaleere taufen. Er hat die Statur einer Munitionskiste. Seine Stimme brummt und raspelt sonor wie ein rangierender Radpanzer. Seine Mimik ist fest, aber nicht starr, zwischen den Brauen liegen Falten der Konzentration, aber nicht des Zorns.
Sätze wie aus dem Pistorius geschossen
Sie halten das für überschönt? Schauen Sie doch nach: Anschauungsmaterial liefert die (schwierige) Warschau-Reise und ein Interview mit der "Bild"-Zeitung. Seine Sätze sind kurz. Seine Antworten sind schnell, wie aus dem Pistorius geschossen. Seine Aussagen sind klar - und sei es, dass er die Unklarheit benennt:
"Die Ukraine hat tolle Soldaten."
Soll die Ukraine gewinnen?
"Ja, natürlich gilt der Satz noch."
Und der Atomkrieg?
"Das macht mir nicht wirklich Angst."
Ist die Welt ohne Putin besser?
"Das kann man ohne zu Zögern und ohne Abstriche sagen."
Was macht das Amt mit Ihnen?
"Nichts."
"Bum Bum Boris" ("Bild") weiß, was er da tut, er verrät sogar praktisch seine Methode: "ohne zu Zögern und ohne Abstriche". Anders als manch ein anderer Politiker weiß er, dass er auf dem schlimmsten Stuhl des Kabinetts vor allem durch Charisma punkten muss.
Bemerkenswert ist auch, dass er der Ukraine den Sieg wünscht - so einen Satz sagt Olaf Scholz, aus Rücksicht auf den russischen Aggressor, bis heute nicht. Pistorius signalisiert, dass er sich Putins Unberechenbarkeit nicht beuge.
Sein größter Punkt ist eine Panne
Doch den vielleicht größten Punkt der Woche hat Pistorius nicht durch ein Interview gemacht - sondern durch eine Panne. In Warschau sprach er nämlich nicht nur akzentreiches, sondern sogar falsches Englisch.
Wie peinlich so etwas werden kann, zeigt die deutsche Politik immer wieder: Günther Oettingers Englisch ist berüchtigt, Guido Westerwelle verweigerte es einmal pampig auf einer Pressekonferenz komplett und auch Annalena Baerbock, obwohl sie vom Völkerrecht kommt und nicht den Kühen, klang zu Beginn wie - Günther Oettinger.
Aber Pistorius baute keinen Westerwelle. Als Bloomberg ihn fragt, sagt Pistorius, ohne zu zögern und dennoch bescheiden: "yes, I’ll try to answer in English" - er werde versuchen, auf Englisch zu antworten.
Er kommt dann auf das Thema der Panzerwartung, englisch "maintenance", doch er fügt auch noch das Wort "reparations" an, was auf Englisch aber "Wiedergutmachung" heißt, nicht Reparatur. Das ist doppelt unglücklich, weil Polen seit Jahren wegen des Zweiten Weltkriegs erfolglos 1,3 Billionen Euro Entschädigung von Deutschland verlangt, also Reparationszahlungen, englisch: reparations.
Das Gegenteil von Christine Lambrecht
Warum ist Pistorius der Lapsus nicht um die Ohren geflogen wie seiner Amtsvorgängerin die Silvesterraketen? Macht man sich nicht sonst stets lustig über alles Mögliche? Weil er ein Mann ist?
Es liegt wohl eher daran, dass er den Moment genutzt hat, um die eigene Führungsstärke zu zeigen. Als er "reparations" sagt, zögert er, und holt sich auf offener Bühne Rat: "Nee, reparations sagt man nicht, was sagt man?" Da zeigt sich der Niedersachse ziemlich erdverwachsen: Er zeigt ja immerhin eine Wissenslücke auf offener Bühne und holt sich erkennbar Hilfe. Es ist damit das exakte Gegenteil von Lambrecht, die mit ihrem grauenhaften Silvester-Video zeigte, dass sie auf Professionalität und die Kenntnis Dritter keinen sonderlichen Wert legt. Es ist, in einem Wort: souverän.
Souveränität, besonders im Hinblick auf eigene Schwächen, gefällt den Leuten. Pistorius hatte sie bei seinem Besuch in Polen doppelt zeigen müssen: Gemeinsame Bilder und ein gemeinsames Abschlussstatement hatte der polnische Verteidigungsminister nämlich verweigert - Pistorius allein am Denkmal des Warschauer Aufstands, Pistorius allein am Denkmal der Helden des Ghettos, Pistorius allein an der Gedenktafel zu Willy Brandts Kniefall im Jahr 1970.
Was für ein Mensch ist da an der Macht?
Auch bei der Abschluss-Pressekonferenz war Pistorius allein. "Ich nehm das völlig gelassen", sagte er dazu, "jeder muss seinen Job da gerade machen, wo er gefordert ist". Er habe "keine Scheu, auch alleine vor Sie zu treten". Dennoch beschönigte er nichts. Er komme gerade aus einem "der klarsten und ehrlichsten Gespräche, die man sich vorstellen kann".
Es sind diese kleinen Dinge, an denen die Öffentlichkeit erkennt, was für ein Mensch da an der Macht ist. Sie kann nur begrenzt beurteilen, welche Panzerzahl die richtige und ob ein Gesetzentwurf klug ist. Das gilt gerade im Krieg. Im Gestrüpp von Geheimdiensten, diplomatischer Tarnung und Kriegsangst haben wir nichts anderes als das zwischenmenschliche Verhalten, um den Menschen in Anzug oder Kostüm zu erahnen.
Manche haben das nicht verstanden. Wir sahen diese Woche den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, dem wegen einer albernen Büttenrede von Marie-Agnes Strack-Zimmermann das Gesicht versteinerte, neben einem lachenden Hendrik Wüst.
Quakig, kleinkariert und mimosig
Wir sahen einen Generalsekretär, der dafür quakig, kleinkariert und mimosig allen Ernstes eine "Entschuldigung" erbat. Wie leicht hätte die CDU hier Charakter, Selbstironie und strategisches Geschick zeigen können, so unfair die Attacke der FDP-Politikerin sein mochte!
Es sind eben die kleinen Dinge. Und zumindest die macht Boris Pistorius gerade alle richtig - und das macht ihn zum derzeit beliebtesten Bundespolitiker der Deutschen im schlimmsten Amt der Bundesregierung.
Quelle: ntv.de