
Eine kaputte Ampel. Ganz so weit ist die Koalition noch nicht.
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Das Bundesverfassungsgericht hat die ideologischen Gräben in der Ampel ausgeleuchtet. Gut so! Das kommende Jahr wird damit zum Härtetest für die Koalition.
Christian Lindner mag das Wort "Schuldenbremse" nicht, auch nicht das Wort "Notsituation", und "Aussetzen" kommt für einen Vollzeitdurchstarter nun erst recht nicht in die Tüte. Der Bundesfinanzminister vollführte daher am Donnerstagabend ein rhetorisches Kunststück: Er trat vor die Presse und beichtete, dass er die Schuldenbremse wegen der aktuellen Notsituation für 2023 aussetzen werde - aber nutzte keines dieser Wörter. Dann löschte er seinen Auftritt ab mit der Wohlfühlphrase er wolle "reinen Tisch" machen. Der reine Tisch droht wirklich. Aber allen!
"Aussetzen der Schuldenbremse" - das klingt immer so befreiend! Als habe die Schuldenbremse einen riesigen Schalter und wenn eine Regierung mal ein wenig klamm ist, drückt sie da einfach drauf, dann heben sich die haushalterischen Bremsbacken von den Felgen und man saust so richtig los, am Ziel reißen dann alle die Arme in die Höhe und bespritzen sich mit Champagner. Die Aussetzung der Schuldenbremse ist aber bestenfalls ein Sprache gewordener Irrtum und schlimmstenfalls eine Manipulation der Öffentlichkeit.
"Nur aufmachen bei Naturkatastrophe!"
Die Schuldenbremse ist eine harte, verfassungsrechtliche Grenze für die Neuverschuldung. Sie steht in Artikel 115 Grundgesetz und ist keineswegs ein Instrument aus ruhigeren Zeiten, wie die Grünen jetzt erzählen, sondern Reaktion auf eine Krise: nämlich die globale Finanzkrise. Man kann sie praktisch nicht "aussetzen", außer, man schreibt das Aussetzen ins selbe Dokument wie die Bremse selbst. Das ist nur in einem Fall passiert, nämlich bei den "Zeitenwende"-Milliarden für die Bundeswehr. Da hat die Ampel mit Stimmen der Union schlicht ins Grundgesetz geschrieben: 100 Milliarden für die Verteidigung, die Schuldenbremse gilt hier nicht.
Was Lindner nun verkündet, ist etwas anderes: Eingebaut in die Schuldenbremse ist nämlich ein winziges Türchen. Auf diesem Türchen steht in leuchtend roter Schrift "Finger weg!" und "Nur aufmachen bei Naturkatastrophe!" oder eben in "außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen". Durch dieses Türchen presst der Finanzminister jetzt den Haushalt 2023.
Es gibt also keinen Schalter, kein Aussetzen, es gibt nur Nöte, Notwendigkeiten und banges Hoffen, dass das alles verfassungsrechtlich hält. Denn eine "Notsituation" muss man erst einmal finden, sonst wiederholt sich das Debakel dieser Woche: Das Bundesverfassungsgericht knallt das Türchen dann noch einmal zu und auch der nächste Haushalt platzt. Dass der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, im Deutschlandfunk das "Aussetzen" der Schuldenbremse also riskant nennt, ist vermutlich nicht nur Taktik, sondern berechtigte Sorge.
Da liegt noch eine Bombe auf dem Tisch
60 Milliarden aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) fehlen derzeit, weil das Geld für Corona gedacht war und für Klimapolitik umgewidmet wurde. Bis zu 200 weitere Milliarden stehen im Feuer, weil ein weiterer Fonds, der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), auch außerhalb des Haushalts steht - wie viel genau, darüber streiten Experten noch. Welche "Notsituation" hilft denn hier? Der russische Überfall auf die Ukraine? Magenziehen beim Bundeswirtschaftsminister? Ausgabendiarrhoe der Ampel? Die eingetrübte Konjunktur? Oder, besonders kreativ, das Bundesverfassungsgerichtsurteil selbst?
Karlsruhe hat nicht nur einen Haushalt gesprengt, sondern auch gleich eine weitere tickende Bombe auf den Tisch gelegt. Die Gefahr liegt in einem der wesentlichen Argumente der Richter. Je weiter eine Notsituation zurückliege, argumentierten sie, desto weniger könne eine Regierung damit gegen die Schuldenbremse argumentieren. Das zeigt eigentlich schon die Formulierung der Schuldenbremse: Eine Not-"Situation" ist etwas Vorübergehendes. Man kann nicht ständig im Alarmzustand sein.
Das wäre alles nicht so schlimm, wenn die Ampelparteien nicht gerade in Fragen der Ökonomie so weit auseinanderlägen. Das Karlsruher Urteil hat mit einem Schlag einen Flutlichtstrahler auf die ideologischen Gräben in der Ampel gerichtet. In gleißendem Licht schauen sich nun drei Parteien in die müden Augen und fragen sich: Wer bist Du denn und warum bin ich mit Dir in einer Koalition?
Vielleicht fragt Scholz mal bei Habeck nach
Die FDP liebt den schlanken Staat, die SPD liebt die Umverteilung, die Grünen lieben Subventionen. Steuererhöhung, Zurückfahren der Sozialausgaben, Verzicht auf Klimaförderungen ist da schwer.
Die Fondsschusterei in Höhe von zig Milliarden war Symptom dieser Verkeiltheit - wobei auch Ökonomen wie Lars Feld und Marcel Fratzscher dafür warben, Investitionen über Jahre mit der Not-Corona-Knete zu bezahlen. Das sei besonders praktisch, schrieben sie, weil man die Gelder flexibel und über die Jahre abrufen könnte. Spätestens hier hätte die Frage im Raum stehen müssen, was denn das dann noch mit der Corona-Krise zu tun hat.
Nun muss erst einmal eine neue, plausible Not-Geschichte her. Vielleicht fragt Lindner mal bei Robert Habeck nach: Niemand ist so gut im Geschichtenerzählen wie er, zumal er sich die Bühne mit niemandem teilen muss - der eremitische Kanzler ist wie in jeder Krise bis auf Weiteres nicht zu sehen. Habeck sagte am Donnerstag, röhrend, bildgewaltig: Wir Deutschen hätten uns freiwillig die Hände auf den Rücken gefesselt und zögen so in einen Boxkampf, während die anderen sich Hufeisen um die Hände binden. Die Schuldenbremse sei ein Relikt aus Zeiten, in denen China nur eine verlängerte Werkbank war.
Und jetzt die große Koalition?
Sein Büroleiter wirft auf LinkedIn derweil feurige Blicke in Richtung Union: Könnte man nicht jetzt gemeinsam die Schuldenbremse mit einer Investitionsregel lockern? Das ist politisch wie menschlich eine tollkühne Idee, denn Habeck hatte kürzlich der CDU und Friedrich Merz vorgeworfen, sie hätten den Menschen durch die Klage beim Bundesverfassungsgericht höhere Preise beschert. Das wurde allenthalben als blanke Unverschämtheit gesehen, war allerdings nicht untypisch: Habeck ist dünnhäutig. Er verträgt es nicht, wenn ihm jemand Grenzen aufzeigt.
Auch die Union wirbt derzeit nicht um grüne Partner. Manche reden lieber über eine neue große Koalition, was den Vorteil hätte, dass Olaf Scholz sich einen Job ohne Bühnenpflichten suchen könnte - dann sieht man nicht, wenn er wegen der schrecklich dummen Menschen wieder die Augen verdreht.
Ist also das Ende der Ampel nah? Als wahrscheinlichste Sollbruchstelle gilt manchen Beobachtern die FDP. In deren Reihen baut sich gerade ein kleiner Proteststurm gegen den Ampelverbleib auf. Die Partei kann sich auch deshalb keinerlei Kompromisse in Sachen Schuldenbremse leisten, ebenso wenig höhere Steuern. Hinschmeißen kann sie allerdings auch kaum: Immerhin hat ihr Chef das Haushaltsdebakel zu verantworten und das nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen entstandene Image des Drückebergers möchte er sicher auch nicht vertiefen.
Die Ampel ist also zu Kompromissen verdammt, die jede der Parteien an den Rand der Selbstaufgabe drängen werden. 2024 könnte das Jahr der parteiinternen Rebellionen werden. Es könnte ein gutes Jahr werden für Friedrich Merz und die Union.
Quelle: ntv.de