
Stoppt den Genozid - und gemeint ist nicht etwa das Massaker der Hamas-Terroristen an Israelis. Demonstration in den USA.
(Foto: IMAGO/SOPA Images)
Das Massaker der Terrororganisation Hamas bringt weltweit den Antisemitismus zum Erblühen. Wer sich mit Israel solidarisch zeigt, wird eingeschüchtert.
Eigentlich, so geht ein naiver Gedanke, hätte doch das furchtbarste per Actionkamera dokumentierte Massaker der Menschheitsgeschichte, ein Live-Genozidversuch, zu Mitleid, Solidarität und Proteststurm führen müssen. In dieser Woche berichten Forensiker, was Hamas-Terroristen mit Frauen angestellt haben und eigentlich müsste das doch jede Ambivalenz in Sachen Nahost auslöschen. Eigentlich.
Die Berichte beschreiben, was eine Durchschnittsphantasie nicht einmal in den blutrünstigsten Momenten zustande brächte. Frauen, denen die Beine abgehackt wurden, denen Terroristen in die Augen feuerten. Eine Frau hätten die Terroristen vergewaltigt, weitergereicht, noch einmal vergewaltigt und dabei in den Hinterkopf geschossen. Die Brust sei abgeschnitten worden und dann hätte der Täter das Körperteil geworfen, wie einen Ball.
Da ist doch jetzt kein Raum mehr für Schweigen, Abwiegeln und Relativierung - eigentlich. Doch aus irgendeinem Grunde legt sich eine Verdruckstheit um den ganzen Planeten wie ein klammer Lappen und verhindert klare Haltungen zu palästinensischen Terroristen.
UN-Frauen können grad nicht
Die UN Women, naiv betrachtet eine eigentlich berufene Organisation, um sich hier einmal zu Wort zu melden, hat seit dem 7. Oktober 50 Tage lang kaum ein Wort über das Massaker verloren, umso mehr über das Leid im Gaza-Streifen. Dann hat sie Hamas in einem Post auf Instagram verdammt - und ihn dann gleich wieder gelöscht. Ist es wirklich eine ambivalente Sache, institutionelle Frauenmörder und Vergewaltiger öffentlich zu kritisieren? Die Organisation rechtfertigte sich später, sie habe derzeit einen "anderen Fokus".
Der Premierminister von Irland schreibt, ein unschuldiges Mädchen sei "verloren gegangen" und nun "gefunden" worden, als hätte Israel die neunjährige von Terroristen entführte Emily Hand irgendwie verbummelt und nun in einer anderen Manteltasche wiedergefunden. Warum sagt er nicht, Hamas habe das Kind entführt? Hat er Angst?
Wer wissen will, was man wirklich nicht mehr sagen darf, der laufe mit einer Israelflagge durch Neukölln oder probiere sich an einer Mohammed-Karikatur. Seltsamerweise sehe ich keine Debatte darüber, wie sehr die schiere Aggressivität von propalästinensischen Aktivisten und Islamisten dazu beiträgt, Solidarität mit Israel zu ersticken.
"Gruselig, was gerade in Deutschland passiert"
Anlässe gäbe es genug. Um nur die jüngsten zu nennen: In New York haben sich wütende propalästinensische Demonstranten Schlägereien mit der Polizei geliefert, als sie den Weihnachtsbaum am Rockefeller-Center erreichen wollten. An der Berliner Universität der Künste rotteten sich Mitte November vermummte Protestierer zusammen, weil der Präsident der Hochschule den Mut hatte, sich mit Israel solidarisch zu erklären. Unter die Teilnehmer hatten sich auch Linksextremisten gemischt, die der Verfassungsschutz als gewaltorientiert einordnet.
Doch derzeit wächst eine ganz andere "man wird doch wohl noch sagen dürfen"-Erzählung heran. Man darf, so scheint die Phantasie zu gehen, nämlich nicht mehr Israel kritisieren. "Es ist gruselig, was gerade in Deutschland passiert", raunt ein Journalist auf X, und empört sich dabei über etliche Schlagzeilen. In den zitierten Berichten geht es um verschiedene kritische Reaktionen des Kulturbetriebs auf Israelkritiker.
Auch in der Wissenschaft singt man das "man wird doch wohl noch sagen dürfen"-Lied: Weil ein Professor am 7. Oktober unkommentiert ein Foto grüner Hamas-Flaggen postete, fragte die Hochschulleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) bei ihm nach, was es denn damit auf sich habe. Ob er, damals Fellow am WZB, denn den Überfall der Hamas unterstütze. Man verlange eine öffentliche Verurteilung.
Eine Provokation mit Hamas-Flaggen
Das war zu viel verlangt. Der Professor postete den Schriftwechsel, insbesondere eine drei Seiten lange Litanei, in der er "alle Akte der Gewalt" verdamme, sein Posting sei als Provokation gedacht, ein Schlag ins Gesicht kriegstreibender israelischer Politiker und so weiter, dann kommt noch eine rhetorische Verbeugung vor Max Weber und jedenfalls trete er von seinen Aufgaben beim WZB zurück. Sein Post mit den grünen Hamas-Flaggen ist nach wie vor abrufbar, eine Erklärung für stirnrunzelnde Beobachter lieferte der Professor bis heute nicht. Warum?
Die Erzählung, man dürfe irgendetwas nicht mehr sagen, ist eigentlich ein Trick aus der Kiste der Rechtsextremen, aber sie funktioniert auch links recht gut. Als gäbe es nicht seit der Existenz Israels in Deutschland einen galoppierenden Wettbewerb darum, wer Israel am prächtigsten kritisiert. Wenn Sie beim Bäcker in der Schlange eine Debatte zu Nahost anfangen, wird innerhalb der ersten Minute jemand das Wort "Siedlungspolitik" in die Luft werfen.
Damit ich richtig verstanden werde: Natürlich darf man Israel kritisieren. Ignorieren wir ruhig, dass es zum Wort "Israelkritik" keinerlei Entsprechung mit anderen Ländern gibt. Eine nennenswerte Syrienkritik, Dänemarkkritik, Nordkoreakritik oder Polenkritik habe ich seltsamerweise noch nicht vernommen. Auch Hamaskritik hat es nie zu einem eigenen Thema geschafft. Egal! Die Israelis kritisieren Israel ja selbst, also machen wir da ruhig mit.
Riskante Solidarität
Der Unterschied: Wer Israel kritisiert, riskiert gar nichts. Wer mit der Hamas und der Vernichtung Israels flirtet, riskiert allenfalls seinen Job. Wer sich aber mit Israel solidarisiert, riskiert von Linken als Rassist, Rechtsextremer und Kolonialist bezeichnet zu werden, wird von einem vermummten Mob in Grund und Boden geschrien oder schlicht verprügelt.
Der Antisemitismus hat daher einen starken, oft übersehenen Verbündeten: die Furcht vor Gewalt. Es ist leicht, jemandem vorzuwerfen, er habe grad das Gendern vergessen. Es ist nicht so leicht, Islamisten in die Schranken zu weisen.
Das erklärt womöglich den peinlichen Moment feministischer Außenpolitik, den das Auswärtige Amt uns diese Woche bescherte. Die Frauenaktivistin Masih Alinejad, ein menschlicher Orkan mit beeindruckender Lockenmähne und einer ungebremsten Wut gegen das Mullah-Regime im Iran, insbesondere deren Verschleierungsgebote, sollte Annalena Baerbocks Beamte zum Gespräch treffen. Wer Alinejads Arbeit verfolgt, ahnt, dass sie das Gespräch medial verarbeiten würde. Alinejad ist mutig bis an den Rand der Todesverachtung.
Unterschätzte Feigheit
Doch das war zu viel für die feministische Außenpolitik. Alinejad sagte den Besuch ab, denn man habe ihr verboten, über das Treffen öffentlich zu berichten. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung sagte dazu, man habe "im Vorfeld Vertraulichkeit vereinbart". Wenn das feministische Außenpolitik ist - dürfte ich dann noch einmal die chauvinistische sehen?
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen nannte die Haltung des Auswärtigen Amts "feige". Feigheit ist ein hässliches Wort. Aber es spielt in diesem Wahnsinn seit dem 7. Oktober eine deutlich unterschätzte Rolle.
Quelle: ntv.de