Schneckenmann im Schneckenhaus Millionen Häuschen gesammelt
31.05.2010, 13:13 UhrDas "Haus der Natur" in Cismar beherbergt eine der größten privaten Schnecken- und Muschelsammlungen der Welt: Acht bis zehn Millionen Exemplare sollen es sein.

Schneckenexperte Vollrath Wiese und seine Frau Gyde vor dem von ihnen betriebenen privaten Naturkundemuseum.
(Foto: dpa)
Eines der Häuser hat Stacheln, lang und spitz, gebogen oder gerade, aus hartem Kalk. Ein anderes ragt wie eine schmaler werdende Spirale in die Höhe. Manche Häuser haben Fassaden aus Perlmutt, andere glänzen wie Porzellan. Die meisten der Bewohner sind schon vor langer Zeit hinausgekrochen. Ihre Häuser sind nun in einem großen, roten Backsteinhaus zu sehen - im "Haus der Natur" in Cismar (Kreis Ostholstein). Das Museum beherbergt nach eigenen Angaben eine der größten privaten Schnecken- und Muschelsammlungen der Welt.
Vollrath Wiese weiß nicht, wie viele Muscheln und Schnecken er hat. Acht bis zehn Millionen, schätzt der Museumsgründer. Darunter sind Muschelschalen, in denen Besucher bequem sitzen können, Tintenfischgehäuse so groß wie Männerhände und unzählige kleine Schneckenhäuschen. Wiese stellt eine Glasschale auf den Tisch. "Das war echt ein Haufen Sand", sagt der 47-Jährige und zeigt auf die nur wenige Millimeter großen, bräunlichen Schnecken. Er hat sie mit der Hand sortiert. Ihre unterschiedlichen Farben, Formen und Muster lassen sich nur unter dem Mikroskop erkennen.
Hinter Wiese taucht "Heino" aus dem Wasser und schiebt seinen Hals hervor. Die Schildkröte glotzt an die Wand. Fotos über Fotos hängen dort, und sie erzählen von dem ungewöhnlichen Familienprojekt.
Zweitgrößter Tierstamm
Da ist ein Bild von dem Kind Vollrath. Es bekam einen Beutel Muscheln von der Oma geschenkt, und das Interesse war geweckt. Vollrath begann zu lesen, zu suchen, zu sammeln. Vor allem die Vielfalt der Weichtiere mit 120.000 verschiedenen Arten fasziniert ihn. "Es ist der zweitgrößte Tierstamm", sagt Wiese. "Sie hinterlassen Hartteile, die man aufsammeln kann, ohne dass man den Tieren etwas tun muss." Bald überließen die Eltern seinen Muscheln und Schnecken das Esszimmer. Aber irgendwann war es voll.
Rotstichige Farbbilder zeigen zwei weiße Garagentore, ein kleines Schild mit "geöffnet" steht vor einem. Das war das erste Museum. "1979 hat Mutter die Tür aufgemacht, um zu lüften. Da kamen Gäste vorbei", erzählt Wiese. Im ersten Jahr hatten die Wieses mehrere tausend Besucher in den Garagen.
Auf anderen Bildern ist eine Backsteinruine ohne Dach zu sehen, Vollrath Wiese mit gelbem Bauarbeiterhelm, ein kleines Kind beim Bau: Das neue Museum entsteht, die Wiederherstellung der Ruine fördern zu 45 Prozent Land und Gemeinde, der Rest geht auf die Wieses. Über den Kauf hatte Vollraths Frau Gyde verhandelt, mit angepackt haben sie alle. Gyde, der Jugendliebe, war klar: "Wenn ich diesen Mann heirate, dann heirate ich auch ein Museum und die Arbeit."
Unentgeltliche Arbeit
Heute sind immer noch alle dabei: Vollraths Wieses Eltern machen meist die Führungen, Wieses seine Töchter Stella und Levke sortieren mal Schnecken, schreiben für Monatsblätter oder helfen bei Veranstaltungen. Außer einer jungen Frau, die ein Freiwilliges Soziales Jahr macht, bekommt niemand Geld für die Arbeit; die laufenden Kosten tragen die Wieses. "Was nicht zu finanzieren ist, stecken wir aus dem Familienverdienst rein", sagt Wiese.
Vollrath und Gyde Wiese sind Lehrer, so wie Wieses Eltern es waren. Daneben arbeitet Wiese, der Vorsitzende der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft, freiberuflich: Er fertigt etwa Naturschutzgutachten an und berät den Zoll, wenn Muscheln oder Schnecken eingeführt werden. "Ich bin hier der Oberschneckenmensch für Schleswig-Holstein", sagt Wiese. Er sieht sich nicht nur als Sammler, sondern auch als Forscher. Das Haus der Natur gibt eine Schriftenreihe zur Malakozoologie - zur Weichtierforschung - heraus.
Der Schneckenmann kennt sich aus mit Schneckengiften, Schneckenschleim und Schneckensex, mit Sonnenschnecken, Veilchenschnecken, Turmschnecken. Aber die Tiere geben ihm immer noch Rätsel auf. Wie kommunizieren sie? Wie entscheiden sie? Wie suchen sie sich einen Partner? "Ich würde wirklich gern wissen, was eine Schnecke weiß."
Information
Das Haus der Natur, Bäderstraße 26 in Cismar, ist täglich von 10.00 bis 19.00 Uhr geöffnet. Eintritt: Erwachsene 2,50 Euro (Gruppenpreis 2,00), Kinder 1,00 Euro.
Quelle: ntv.de, dpa