Tortur in Londoner U-Bahn Summer Time is Brutzel Time
04.07.2010, 09:50 UhrIm Sommer ist eine Fahrt mit der Londoner U-Bahn eine schweißtreibende Angelegenheit. Tiertransporte wären unter diesen Umständen verboten. Doch jetzt soll alles anders werden.

Eine Londoner U-Bahnstation im Bezirk Westminster.
(Foto: picture alliance / dpa)
Im Sommer wird das U-Bahn-Fahren in London zur Tortur. Durchschnittstemperatur: 31 Grad. Gemessene Höchsttemperatur: 47 Grad. Viehtransporte wären bei solcher Hitze rechtswidrig. Aber dass es Tiere oft besser haben als Menschen, ist für die meisten Briten keine Überraschung.
100.000 Pfund Belohnung
Summer Time is Brutzel Time in der Londoner U-Bahn. Lange hieß es, daran könne man nichts ändern. Während einer besonders schlimmen Hitzeperiode im Sommer 2003 setzte der damalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone eine Belohnung von 100.000 Pfund aus für die beste Idee zur Kühlung der U-Bahn.
3500 Vorschläge aus aller Welt gingen ein - doch am Ende bekam niemand das Preisgeld. Es wäre einfach nix Richtiges dabei gewesen, meinte der U-Bahn-Direktor. Die von einer israelischen Firma vorgeschlagene Schneemaschine, die den Schnee durch Leitungen in Container auf den Bahnsteigen pumpen sollte, wurde als nicht praktikabel bewertet.
150-Millionen-Pfund-Programm
Mittlerweile ist ein 150-Millionen-Pfund Programm unter dem Titel "Cooling the Tube" (Die U-Bahn kühlen) angelaufen. In diesem Sommer soll der erste klimatisierte Zug auf der Metropolitan Line eingesetzt werden. Bis 2011 sollen alle Züge dieser Linie folgen, danach auch die Circle-, District- und Hammersmith & City-Linien. Insgesamt geht es um 191 neue Züge.
Andere der insgesamt elf Linien schlängeln sich jedoch in so großer Tiefe durch die Londoner Unterwelt (fast 60 Meter), dass die Hitze durch Maschinen und Menschen von dort nicht wirksam abgeführt werden kann. Dort muss man also weiter schwitzen. Die Hitze macht vor allem den Millionen Pendlern während der Rush Hour zu schaffen. Die Züge sind dann so überfüllt, dass man sich nur noch hineinquetschen kann, wenn man andere mit Gewalt weiter nach hinten drängt. Umfallen kann zum Glück niemand, dafür ist kein Platz.
Unterirdische Tücken
Richtig gemütlich wird es, wenn die U-Bahn stecken bleibt, was häufig vorkommt. Manchmal fällt dazu noch das Licht aus. Die Londoner U-Bahn ist sehr alt, und das merkt man ihr auch an. Schon 1863 pendelten jeden Tag 30.000 Londoner unterirdisch zur Arbeit, nachdem die "Times" vergeblich gewarnt hatte, Züge unter der Erde seien eine ähnlich verrückte Idee wie "fliegende Maschinen oder Tunnel unter dem Ärmelkanal". Heute sind es im Durchschnitt knapp drei Millionen Fahrgäste täglich. An einzelnen Tagen können es auch schon mal vier Millionen werden. Schneller ist die U-Bahn in all den Jahren übrigens nicht geworden. Das einzig Flüssige an London ist die Themse.
Das 400 Kilometer lange Streckennetz der "Tube" - der "Röhre", wie man sie nennt - hat viele Tücken. Am besten schaut man während der Fahrt nicht aus dem Fenster, denn sonst erblickt man abgerissene Kabel, lose aus der Mauer ragende Drähte und bröckelndes Mauerwerk aus den Tagen von Jack the Ripper.
Kultstatus bei Touristen

Die Zeichnung "Tube Shelter Perspective: The Liverpool Street" (1941) des britischen Künstlers Henry Moore zeigt Menschen, die während des Bombardements von London in der U-Bahn Schutz suchten.
(Foto: picture alliance / dpa)
Touristen wissen die Tube dennoch zu schätzen und wählten sie in einer Umfrage mit 2000 Teilnehmern zum besten öffentlichen Nahverkehrssystem der Welt. Die einleuchtendste Erklärung dafür ist wohl, dass sich Touristen hauptsächlich außerhalb der Hauptstoßzeiten durch die unterirdischen Arterien bewegen, und dann ist alles halb so schlimm. Außerdem hat die London Underground mit ihren kunstvoll dekorierten Terrakotta-Bahnhöfen und dem weltberühmten Logo aus rotem Ring und darüber liegendem blauen Balken auch ihre kultigen Seiten.
Ins Herz geschlossen haben viele Reisenden die handgeschriebenen Mitteilungen am Eingang vieler Stationen, die hin und wieder auch mit englischem Humor gewürzt sind ("Heute sonnig und keine Probleme - nein, das war ein Witz: Der lang anhaltende Regen kann zu Verspätungen führen.") Am schönsten aber sind die Namen der Stationen. Angel, Elephant & Castle, King's Cross und Shepherd's Bush (Hirten-Wäldchen) - wer möchte da nicht aussteigen?
Quelle: ntv.de, Christoph Driessen, dpa