Vorhersebarer Blackout "Ich frage mich, warum die Berliner Unternehmen nicht vorgesorgt haben"
15.09.2025, 17:00 Uhr Artikel anhören
Die Reparaturarbeiten nach dem Berliner Stromausfall werden wohl noch Monate dauern.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ein Brandanschlag, dann geht das Licht aus: Vergangene Woche verursachen Linksextremisten im Südosten von Berlin den längsten Stromausfall in der Hauptstadt seit 25 Jahren. 50.000 Haushalte, S-Bahnhöfe, Einkaufszentren und Technologiefirmen sind rund 60 Stunden ohne Strom. "Wir sind nicht ausreichend resilient aufgestellt", kritisiert Manuel Atug, Gründer und Sprecher der AG Kritis im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Ihm zufolge fehlen umfassende und deutschlandweit schnell verfügbare Entstörtrupps und Ersatzmaterial.
ntv.de: Wie kann es sein, dass ein Feuer an nur zwei Strommasten einen ganzen Berliner Stadtteil lahmlegt?
Manuel Atug: Das liegt an mangelnder Redundanz und damit mangelnder Resilienz, sprich Widerstandsfähigkeit gegen Ereignisse. Wenn die Betreiber unzureichend agieren und der Gesetzgeber auch nicht fordert, dass mehr gemacht werden muss, dann sparen natürlich alle. In der Vergangenheit hat man beispielsweise viele Tausend Kilometer Stromtrassen über Strommasten durch ganz Deutschland gezogen, weil das billiger war, als sie unter der Erde zu verlegen. Wenn man all diese Zusatzmaßnahmen nicht umsetzt, dann kann so etwas jederzeit an allen möglichen Stellen passieren.
Was meinen Sie mit Zusatzmaßnahmen? Sollten Stromkabel generell komplett unterirdisch verlegt werden?
Das kann eine der Möglichkeiten sein. Wenn die Kabel zwei Meter tief in der Erde sind, ist es schwieriger, sie zu beschädigen. Wobei auch "Baggerbisse" - wenn Bagger Kabel durchtrennen - sehr häufig vorkommen. Man kann sich auch redundant anbinden, den Strom über mehrere Stromtrassen beziehen. Ich frage mich, warum das die Unternehmen im Technologiepark Adlershof nicht tun. Das scheint nicht relevant genug gewesen zu sein. Privatmenschen können natürlich nicht mehrere Anschlüsse haben. Aber man hat auch eine Eigenverantwortung, kann ein paar Liter Wasser und Vorräte lagern und in solchen Problemfällen handlungsfähig bleiben. Dann muss man sich nicht komplett auf den Staat verlassen.
Wie kann man solche großflächigen Stromausfälle verhindern?
Man kann schauen, dass man Ersatzmaterial und auch Entstörtrupps im Notfallmanagement rund um die Uhr parat hat, idealerweise in ganz Deutschland verteilt. Das kostet natürlich Geld. Solche Entstörtrupps könnten schnell eingesetzt werden. Man kann auch vorübergehend Stromgeneratoren aufstellen und die Leute versorgen. Diese Ersatzlösungen verhindern zwar keine Sabotage, lassen die Auswirkungen aber nicht zu einer Krise oder Katastrophe anwachsen.
Nach den Angriffen auf die Bahn in Hamburg und anschließenden Zugausfällen hatte die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser gesagt, wir brauchen 1000 neue Bundespolizisten und überall Videoüberwachung. Damit verhindere ich keine Sabotage.
Der Berliner Stromausfall hat 60 Stunden gedauert. Warum haben die Betreiber so lange gebraucht, die Leitungen zu reparieren?
Das ist nicht die kleine Steckdose wie bei mir zu Hause, wo ich mal eben einen Elektriker rufe. Da braucht man schon spezielles Gerät und speziell ausgebildete Fachkräfte. Genau deswegen ist es so wichtig, dass man Entstörung vorhält. Zum Verhältnis: Es waren nur etwa ein Prozent der Berlinerinnen und Berliner betroffen. Trotzdem dieses Großaufgebot: Das Technische Hilfswerk und die Berliner Feuerwehr mussten Katastrophenschutzleistungen erbringen. Wären 25, 50 oder sogar 70 Prozent so einer großen Stadt betroffen, würde das Chaos und ein Desaster bedeuten. Wir haben nicht ausreichend Ersatzmaterial oder Notstrom parat. Wir sind an vielen Stellen nicht ausreichend resilient aufgestellt.
Das Berliner Stromnetz ist nicht ausreichend gesichert?
Das gilt für ganz Deutschland. Andere Länder sind teilweise noch schlechter dran. Die Iberische Halbinsel hatte im April einen kompletten Blackout. Wir haben hierzulande viel mehr Stromleitungen, Stromtrassen und Übergänge in andere Länder als Spanien, das hält die Blackout-Wahrscheinlichkeit geringer. Trotzdem muss jeder Betreiber, auch die regionalen, im regulären Betrieb mehrfach redundant aufgestellt sein, Notfallmaßnahmen parat haben. Und der Staat muss diese Strukturen im Katastrophenschutz sicherstellen. Der sieht aber teils auch katastrophal aus, weil er nicht genug Finanzierung bekommt. Präventive Maßnahmen werden belächelt, statt ernst genommen zu werden. Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese Schutzmaßnahmen unzureichend sind.
Wie könnten sich die lokalen Stromnetzbetreiber für den Notfall besser aufstellen?
Die Betreiber könnten Ersatzgeneratoren und den Diesel dafür vorrätig halten. Diese müssten sie schnell an den Standort bringen können, den Strom umklemmen und daran anschließen. Damit das nicht zu teuer wird, könnten sie sich auch mit anderen Strombetreibern zusammenschließen.
Generell würde es helfen, wenn man die Stromtrassen unter der Erde verlegt. Das ist unheimlich teuer und daher eher unwahrscheinlich. Für Redundanztrassen braucht man Genehmigungen. Die dauern manchmal viele Jahre, dagegen wird ständig geklagt.
Die Bundesregierung tendiert zu fossilen Energien und will bei der Energie ins Mittelalter zurück, anstatt Stromtrassen von Norden nach Süden zu bauen, die den Windkraftstrom günstig durch Deutschland transportieren. Stattdessen wird er entweder ins Ausland verkauft oder man lässt ihn verpuffen.
Eine Gefahr für das Stromnetz stellen auch Drohnen dar. Wie gut ist das deutsche Stromnetz gegen Angriffe aus der Luft geschützt?
Es werden immer häufiger Drohnenüberflüge bei kritischen Infrastrukturanlagen gesichtet. Die stehen teils minutenlang an einer Stelle. Offenbar filmen oder fotografieren sie die Anlagen von oben. Von der Bundesregierung gibt es keine transparenten Zahlen dazu, auch nicht zu Drohnensichtungen über militärischen Einrichtungen. Die Überflüge haben keine Konsequenzen. Bis die Strafverfolgungsbehörden da sind, ist die Drohne längst weg. Die Kritis-Betreiber müssen keine Drohnendetektion oder -abwehr haben. So etwas ist aber auch nicht einfach umzusetzen. Dazu bräuchte es mehr Forschungsförderung.
Die Bundesregierung hat vergangene Woche einen Entwurf zum Kritis-Dachgesetz beschlossen. Können die neuen Vorgaben zukünftige Stromausfälle verhindern?
In der Theorie ja. Aber das Gesetz ist sehr lückenhaft und unzureichend erstellt worden. Es deckt große Teile der Bundesverwaltung, der Landesverwaltung und der Kommunen gar nicht ab. Die Vorgaben gelten nur für die großen Betreiber kritischer Infrastrukturen, die die mindestens 500.000 Menschen mit Wasser, Strom und so weiter versorgen. In großen Städten wie Berlin müssen dann die Betreiber physische Schutzmaßnahmen implementieren, alle anderen nicht. Kleinere Städte wie Paderborn oder Augsburg würden rausfallen.
Welche Maßnahmen müssen die Betreiber von kritischer Infrastruktur in Zukunft umsetzen?
Die Behörden in den Bundesländern sollen bis 2030 Mindestverpflichtungsmaßnahmen definieren. Die Vorgaben dafür sind sehr schwammig formuliert und vor allem erst in der Zukunft relevant. Schnelle Abhilfe gibt es nicht. Physische Schutzmaßnahmen sind teuer und man braucht Jahre dafür, um sie aufzubauen.
Geplant sind Strafen für Betreiber kritischer Infrastruktur. Bringen die was?
Diese Strafen sind gedeckelt bei maximal 500.000 Euro, in vielen Fällen bei 200.000 Euro oder weniger. Für die Betreiber ist es ökonomisch sinnvoller, Bußgelder zu kalkulieren, statt die geforderten Schutzmaßnahmen umzusetzen.
Wären höhere Strafen sinnvoller?
In der Cybersicherheit hat die EU härtere Strafen vorgesehen, um eine gewisse Sanktionssteuerungswirkung zu erreichen. Im Cybersicherheitsgesetz sind Strafen bis zehn Millionen Euro oder zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes angesetzt. Das Kritis-Dachgesetz ist dagegen sehr nett formuliert, so dass die Betreiber möglichst wenig wirtschaftlichen Druck haben. Die ersten Fassungen der deutschen Umsetzung des Cybersicherheitsgesetzes enthielten auch so mickrige Beträge, dagegen sind viele Sturm gelaufen und dann wurden sie angepasst. Beim Kritis-Gesetz ist das ausgeblieben.
Wäre das Kritis-Dachgesetz schon früher beschlossen worden, wie von der Ampelregierung vorgesehen, hätte damit der Brandanschlag in Berlin verhindert werden können?
Nein, denn der Entwurf, der jetzt vorliegt und bis Ende des Jahres voraussichtlich beschlossen werden soll, ist im Vergleich zur Ampelregierung wirklich minimal geändert worden. Die Kritik daran - auch von uns - wurde ignoriert. Das hat man jetzt noch mal gemacht. Die Fristen für Feedback waren viel zu kurz.
In dieser Diskussionsrunde für diesen Gesetzentwurf haben alle Parteien gesagt: Wir müssen mehr tun. Wenn es dann aber ums Machen geht, halten alle die Füße still, weil es Geld kostet. Alle sind sich einig, tun aber trotzdem nichts.
Mit Manuel Atug sprach Caroline Amme. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Wieder was gelernt" anhören.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de
Quelle: ntv.de