Legendäre Ringschlacht von 1951 Als Jake LaMotta einfach nicht fallen wollte
14.02.2021, 09:44 Uhr
Jake LaMotta blieb stehen.
(Foto: imago/UIG)
Wenn ein Boxkampf als "Massaker" in die Geschichte eingeht, ist er wohl kaum ausgeglichen. Jake LaMotta ist heute vor 70 Jahren auf der falschen Seite eines solchen Duells gelandet. Der Fight am Valentinstag ist dabei Teil einer außergewöhnlichen Serie.
Am 14. Februar 1929 schickte Al Capone ein fünfköpfiges Killer-Kommando seiner South Side Gang in den Norden Chicagos. In einer Autowerkstatt, 2122 Clark Street, stellten die Italo-Mobster sieben Mitglieder der irischen North Side Gang an die Wand, zückten zwei Maschinen-Pistolen und entluden ihre Magazine. Die Exekution ging als "Sankt-Valentinstag-Massaker" in die amerikanische Kriminalgeschichte ein.
Am 14. Februar 1951 stand ein Preiskämpfer namens Jake LaMotta ein paar Meilen weiter im Chicago Stadium ähnlich wehrlos da wie die sieben Gangster 22 Jahre zuvor in der Garage - aber er stand. Stand, obwohl Sugar Ray Robinson, der wohl größte Boxer aller Zeiten, im Kampf um die Mittelgewichts-Weltmeisterschaft seit Minuten auf ihn einprügelte. Als Ringrichter Frank Sikora das Gemetzel in der 13. Runde stoppte, atmeten selbst die hartgesottensten Boxfans auf. Seither hat auch der Boxsport sein Valentinstag-Massaker.
Es gibt Menschen, die haben eine übernatürliche Fähigkeit Schläge zu absorbieren und Schmerzen auszuhalten. LaMotta gehörte zweifellos zu dieser Spezies des Komme-was-wolle-Homo-Erectus. "Wenn Flugzeuge aus Jake La Mottas Schädel gebaut wären, hätte ich nicht solche Angst vor dem Fliegen", kommentierte ein Youtube-Nutzer eines der unzähligen Videos zum "Saint Valentine's Day Massacre".
Derart unwirklich sind die Bilder auch heute noch, 70 Jahre später. Wie LaMotta, der "Bulle aus der Bronx", in den Seilen hängt. Zu schwach, die Fäuste hochzunehmen. Wie Robinson ihn zusammenschlägt. Nach Belieben. Wie der "Harlem-Prinz" Kopf und Rippen des Weltmeisters malträtiert. Wie das, was von LaMottas Nase nach 95 Profikämpfen noch übrig ist, evaporiert. Wie LaMotta stehen bleibt.
"Hätte mich der Ringrichter noch 30 Sekunden stehen lassen ..."
Ein alter Reporter-Hase zählte an jenem Mittwochabend in Chicago mit. Nicht weniger als 56 (!) Schläge verpasste Robinson seinem Gegenüber in der letzten Runde. Manch Preisboxer schafft das nicht in einem ganzen Kampf. "Hätte mich der Ringrichter noch 30 Sekunden stehen lassen, wäre Sugar Ray wegen des vielen Schlagens kollabiert", witzelte LaMotta hinterher. Robinson konstatierte nach dem blutigen Valentins-Date: "Er ist der härteste Typ, gegen den ich je gekämpft habe. Ich habe nie einen erlebt, der so aggressiv und rau war."
Robinson vs. LaMotta: Anfang 1951 nicht irgendein Kampf. Es war Teil VI einer epischen Faustkampf-Saga, die 1942 mit einem Sieg Robinsons begonnen hatte. Im Jahr 1943 bekriegten sich die Rivalen binnen drei Wochen zweimal: Im Hinkampf fügte LaMotta dem "Sugarman" dessen erste (und bis Sommer 1951 einzige) Niederlage als Profi zu, die Revanche gewann wieder Robinson. "Ich habe so oft gegen Sugar Ray gekämpft, ich glaube, ich habe Diabetes bekommen", pflegte LaMotta bis ins hohe Alter zu scherzen.
Im Jahr 1945 trafen die beiden wieder zweimal aufeinander, wieder gewann Robinson. Sein letzter Sieg aber war derart knapp und umstritten, dass die Rechnung offenblieb. Sechs Jahre später war es soweit: Weltergewichts-König Robinson schaffte das 147-Pfund-Limit nicht mehr und forderte LaMotta heraus, der 1949 den Mittelgewichts-Titel durch einen "dreckigen" Sieg über den legendären Franzosen Marcel Cerdan erobert hatte. Stilistisch war alles klar: Der Bronx-Bulle LaMotta würde nach vorne stürmen, Meisterboxer Robinson tänzeln, kontern und aus der Distanz punkten. "Ich habe zu viel Herz und Kondition, als dass ich über 15 Runden sein Valentinsschatz bin", schnaubte LaMotta im Vorfeld.
Bei den Buchmachern war Robinson 3,5:1-Favorit. In Sachen Herz sollte der Italo-Amerikaner recht behalten. Um die Kondition des damals 28-Jährigen war es dagegen nicht zum Besten bestellt. LaMotta hatte Probleme mit dem Gewicht. Noch am Tag vor dem Kampf lag er sechs Pfund über dem Mittelgewichts-Limit von 160 Pfund (72,6 kg). Am Kampftag brachte LaMotta das geforderte Maß zwar exakt auf die Waage, das Abkochen aber kostete Substanz. Robinson, damals 29, mit einer irrwitzigen Bilanz von 121 Siegen, einer Niederlage und zwei Remis, wusste um die Pfund-Problematik seines Erzrivalen. Das Box-Mastermind hatte einen entsprechenden Schlachtplan ausgeheckt, der da lautete: LaMotta durch Körpertreffer früh die Luft nehmen, den Bullen müde machen, ihn zum Ende des Kampfes ausschalten.
Als im Chicago Stadium vor 14.802 Zuschauern der Gong ertönte, setzte Robinson den Plan präzise um. Immer wieder traktierte er die Rippen des Weltmeisters, vergrub seine Fäuste regelrecht im Bullenkörper LaMottas. Weil dessen Herz aber pumpte wie eh und je, entwickelte sich in den ersten acht Runden - noch ganz ohne die spätere Dramatik - einer der besten Mittelgewichts-Kämpfe der Geschichte. Wie erwartet hetzte der "Raging Bull" auf sein rotes Tuch zu. War der Matador nicht auf der Hut, wurde es schmerzhaft für Robinson. Nach acht der 15 angesetzten Runden lag LaMotta auf den Punktzetteln von Ringrichter Sikora und Juror Spike McAdams in Front. Danach baute der Titelverteidiger merklich ab. Zwar marschierte LaMotta weiter nach vorn, sein Tempo aber ließ nach.
Der Champ blieb stehen
Für den technisch haushoch überlegenen Robinson war der Champion nun das erhofft leichte Ziel. Die Durchgänge neun und zehn - eine klare Angelegenheit. In der Elften blies LaMotta zum letzten Großangriff, schlug mit allem, was er noch hatte, auf Robinson ein. Ohne Erfolg. Der Herausforderer parierte die Attacken und donnerte zurück. In Runde zwölf verabreichte Robinson LaMotta eine derartige Tracht Prügel, dass selbst dessen größte Fans um Gnade baten. Vergeblich. So kam es zum "Valentinstags-Massaker". In der 13. Runde war der Bulle für Robinson nur noch Freiwild. Aufwärtshaken und Rippenbrecher, technisch hochwertige Geraden wie wilde Schwinger prasselten auf LaMotta ein. Der Champ aber blieb stehen. Wie in seinen 95 Kämpfen zuvor, unterwarf sich LaMottas Körper auch jetzt nicht den Gesetzen der Box-Gravitation.
Entsetzen machte sich breit, eine Minute vor Ende der Runde schritt der Ringrichter endlich ein und schützte den übernatürlich störrischen LaMotta vor sich selbst. Großes Kino. In Martin Scorceses Meisterwerk "Wie ein Wilder Stier" (1980) nuschelt Robert de Niro als LaMotta seinem Peiniger nach dem Abbruch zu: "You never put me down, Ray" (du hast mich nie zu Boden geschlagen, Ray). Eine dramaturgisch zulässige Übertreibung. In Wahrheit musste LaMotta nach dem Kampfabbruch gestützt und in seine Ecke geführt werden. 20 Minuten kauerte der entthronte Weltmeister auf seinem Schemel, ehe er wieder genug Kraft hatte, um in die Umkleidekabine zu schlurfen.
Sugar Ray Robinson boxte nach dem Valentinstag 1951 noch bis 1965 weiter. Der für viele größte Boxer der Geschichte starb 1989 im Alter von 67 Jahren. Jake LaMotta hängte die Handschuhe 1954 an den Nagel, nachdem er zwei Jahre zuvor den Ringboden doch noch ein einziges Mal kennengelernt hatte. Der Bronx-Bulle trat nun lieber in seinem eigenen Nachtclub in New York auf, der Diabetes-Witz mit Sugar Ray wurde zum Running Gag. LaMotta starb 2017 mit 95. 2010 hatte er noch ein siebtes und letztes Mal geheiratet. Ein Wunder der Natur.
Quelle: ntv.de