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Angst bei "Malice at the Palace" Als eine Nacht der Prügel-Gewalt die USA schockte

Ron Artest stand im Fokus bei "Malice at the Palace" in der NBA.

Ron Artest stand im Fokus bei "Malice at the Palace" in der NBA.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Vor genau 20 Jahren erlebt die NBA ihr dunkelstes Kapitel: Bei "Malice at the Palace" liefern sich Profis und Fans eine wilde Massenschlägerei. Die Strafen sind drastisch, es geht vor Gericht - und die Basketball-Liga der USA verändert sich für immer. Manches Urteil wird aber vorschnell gefällt.

Plötzlich springt Ron Artest auf. Wie wild geworden stürmt der NBA-Profi auf die Zuschauertribüne und prügelt sich mit den Fans. Weitere seiner Kollegen und Gegenspieler folgen, die Situation eskaliert zu einer brutalen Massenschlägerei. Vor genau 20 Jahren, am 19. November 2004, erlebt die beste Basketball-Liga der Welt ihre wildeste Szene und eines ihrer dunkelsten Kapitel. Die Nacht der Gewalt sendet Schockwellen durch die gesamten USA und geht um die Welt - und veränderte die NBA für immer.

Nur noch 45,9 Sekunden sind auf der Uhr, die Indiana Pacers führen bei den Detroit Pistons komfortabel mit 97:82. Der Sieg ist ihnen im Re-Match des Conference-Finals aus der Vorsaison nicht mehr zu nehmen. Doch dann eskaliert die Partie zwischen den Rivalen, zwei der besten Teams der Eastern Conference, ein erstes Mal, als Artest, heute Metta Sandiford-Artest, ein hartes Foul an Detroits Ben Wallace begeht. Wallace reagiert über, schubst Artest übel mit den Händen im Gesicht weg und verfolgt ihn, während Spieler und Trainer beider Teams auf das Spielfeld strömen, um die Situation zu beruhigen.

Irgendwann scheint das zu funktionieren. Artest legte sich auf den Scorers Table - und gerade als sich die Lage beruhigt hat, wird der Pacers-Spieler von einem Becher aus dem Publikum mitten ins Gesicht getroffen. Daraufhin bricht die Gewalt in beinahe der gesamten Basketball-Halle aus: Der Palace in Auburn Hills, einem Vorort von Detroit, versinkt im Chaos und "Malice at the Palace" (etwa: Bosheit im Palast) wird sich für immer in die Geschichte der NBA einprägen.

"Schock, Abscheu und Angst"

Artest schnappt sich einen Zuschauer, der gar nicht für den Becherwurf verantwortlich ist, Teamkollege Stephen Jackson folgt ihm sofort auf die Ränge und prügelt einen Fan. Einige Fans prügeln zurück, andere bewerfen die Spieler mit Flüssigkeit und Bechern. Pacers-Spieler Fred Jones wird von David Wallace, dem Bruder von Ben, geschlagen und als Artest auf den Court zurückkehrt, geht die Keilerei mit Fans weiter und auch Pacers-Center Jermaine O'Neal teilt einen so gewaltigen Schlag aus, dass Beobachter Angst um das Leben des Fans bekommen. Die Massen auf den Tribünen wüten und werfen alles, was sie finden, selbst mit Stühlen. Die Schlägerei dauert mehrere Minuten, nur mit dem Schutz von Sicherheitskräften gelangen die Spieler vom Team aus Indiana anschließend in die Katakomben.

Die Partie wird abgebrochen, das dunkelste Kapitel der NBA ist live im nationalen TV zu sehen. Die gesamten USA schauen zu und reagieren schockiert. Die Bilder des Handgemenges sind für jeden, der einen Computer oder einen Fernseher hat, in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten unausweichlich. Die NBA wird schnell als Liga der "Thugs", also der Schläger und Gangster, verurteilt. Auch rassistische Motive gegen die größtenteils Schwarzen NBA-Profis spielen hierbei eine Rolle. Experten kritisieren die Szenen tagein und tagaus in Kolumnen und Talkshows, Artest wird als größter Bösewicht auserkoren.

Unter Berufung auf den persönlichen "Schock, Abscheu und Angst", den er beim Betrachten der Szenen empfand, verhängt NBA-Kommissar David Stern weniger als 48 Stunden nach "Malice at the Palace" die härtesten Strafen, die es in der Liga je gegen Spieler gegeben hat. Artest wird für 86 Spiele, für den gesamten Rest der Saison inklusive der Playoffs, gesperrt und verliert damit gut fünf Millionen Euro an Gehalt. Jackson bekommt eine 30- und O'Neal eine 25-Spiele-Sperre (später reduziert auf 15 Partien) aufgebrummt.

Imagekrise der NBA

Anschließend schwappt das bittere Spektakel bis in die Gerichtssäle, wo Strafanzeigen erhoben werden. Artest, Jackson O'Neal und andere Pacers-Spieler werden wegen Körperverletzung angeklagt, das mit einer Höchststrafe von 93 Tagen Gefängnis, 500 Dollar Geldstrafe oder beidem geahndet werden kann. Am Ende erhalten sie ein Jahr Haft auf Bewährung, eine Geldstrafe von 250 US-Dollar und viele Stunden gemeinnützige Arbeit, nachdem sie sich zu den Anschuldigungen der Körperverletzung bekennen. Auch fünf Fans aus Detroit werden wegen Körperverletzung angeklagt. Ein Fan, der einen Stuhl warf, wird zu zwei Jahren auf Bewährung und zur Zahlung von 6000 US-Dollar Schadensersatz verurteilt, ein anderer zu 30 Tagen Gefängnis und zwei Jahren auf Bewährung.

Der damalige NBA-Kommissar David Stern berichtet später in einem Interview mit CBS Sports Radio, wie der Vorfall die gesamte Liga fast an einem Wochenende veränderte. "Die Schlägerei zwischen den Pistons und den Pacers sorgte dafür, dass die Medien an diesem Wochenende häufig die Worte "Schläger" und "Punks" verwendeten", so Stern. Die NBA sieht sich nach dem Eklat mit einer ernsten Image- und Glaubwürdigkeitskrise konfrontiert, weil das Spiel live im TV die gesamten USA schockiert hatte. Die Prügelei wirft Fragen über die Kultur der Liga auf und um ihren Ruf als Schlägertruppe loszuwerden, führt die NBA eine Business-Style-Kleiderordnung ein und verbietet es Neulingen, direkt nach der Highschool in die Liga einzutreten.

Monate später legt die Liga außerdem Richtlinien für das Sicherheitspersonal in den Stadien fest. In der Vergangenheit hatte die NBA einfache Polizisten und sogar in Rente gegangene Secret-Service-Agenten als Sicherheitspersonal eingestellt, aber seit der Massenschlägerei wird erfahreneres Personal eingestellt. Auch der Alkoholverzehr pro Fan wird eingeschränkt und im vierten Viertel komplett verboten.

"Sie konnten nicht zeigen, wie gut sie waren"

Die Auswirkungen von "Malice at the Palace" gehen jedoch weit über die Kleiderverordnungen, Suspendierungen und Geldstrafen hinaus. Die Pacers, von denen viele glauben, dass sie zwischen 2001 und 2005 in ihrer besten Phase in der Klub-Geschichte waren, werden durch den Vorfall völlig aus der Bahn geworfen und mutieren innerhalb von einem Jahr von einer Macht in der Eastern Conference zu einem Nicht-Faktor. 2003/04 noch das beste Team der regulären Saison mit 61 Siegen, zerfällt die Mannschaft nach dem Chaos. Pacers-Sportdirektor Larry Bird sagt 2019, dass das Team der Spielzeit 2004/05 besser gewesen wäre, als die NBA-Finalmannschaft von 2000, die Bird trainiert hatte, und trauert: "Sie konnten nicht zeigen, wie gut sie waren."

Wenngleich auch Fans für ihr Verhalten kritisiert und bestraft werden, vor 20 Jahren wird "Malice at the Palace" hauptsächlich als eine Situation behandelt, in der NBA-Spieler die Kontrolle verloren und auf Angriff schalteten. Vor allem Ron Artest, der als lautstarker und extrovertierter Spieler, als eine Art tickende Zeitbombe, die Rolle des Anstifters zugeschrieben bekommt.

Eine fünfteilige Netflix-Doku-Serie aus dem Jahr 2021 namens "Untold" zeigt in einer Folge auch eine andere Perspektive, die der Gegenwehr, auf. Artest erzählt darin, wie er sich auf den Scorer's Table legte, um herunterzukommen und die Situation nicht eskalieren zu lassen. Ein Bewältigungsmechanismus seines Therapeuten, der ihn ermutigt hatte, innezuhalten und bis fünf zu zählen, bevor er übereilte Entscheidungen trifft. O'Neal beschreibt, wie ihn bis heute das Image des Schlägertyps begleitet.

Palast abgerissen, Veränderungen bleiben

Die Macher der Doku lösen sich auch vom Tunnelblick der ESPN-Kameras, der Sport-Sender nimmt damals natürlich vornehmlich die Spieler in den Mittelpunkt und nutzt die Bilder von den Sicherheitskameras im Palace. Sie erzählen eine Geschichte von laxen Sicherheitsvorkehrungen, betrunkenen Fans - und Pacers-Profis, die das Gefühl hatten, keine andere Wahl zu haben, als sich den Weg zurück in die Umkleidekabine zu erkämpfen.

Die neue Sichtweise entschuldigt die enorme Gewalt natürlich nicht. Aber Ron Artest und Co. werden 2004 bereits ohne das Vorliegen aller Fakten vorschnell von Medien und Gesellschaft verurteilt. Der Palast in Detroit wird 2020 abgerissen. "Malice at the Palace" und seine Veränderungen aber leben für immer weiter. Und die Indiana Pacers begeistern derzeit endlich wieder mit einem jungen und erfolgreichen NBA-Team.

Quelle: ntv.de

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