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Verwirrt, k.o. und am Boden Box-Star Anthony Joshua verliert die Kontrolle über sein Ego

Ex-Weltmeister Johua war ohne Chance und mehrfach am Boden.

Ex-Weltmeister Johua war ohne Chance und mehrfach am Boden.

(Foto: IMAGO/PA Images)

Zum ersten Mal vorzeitig verloren hat Anthony Joshua am Wochenende nicht. Wohl aber wurde der Box-Superstar im WM-Kampf gegen Daniel Dubois zum ersten Mal in seiner Profi-Laufbahn ausgezählt. Eine britische Box-Ikone legt Joshua die Box-Rente nahe - der will von einem Karriere-K.o. nichts wissen.

Anthony Joshua schöpfte kurz Hoffnung. Mit einer harten Rechten klingelte der Brite seinen Landsmann Daniel Dubois am Samstagabend in der fünften Runde an. 98.000 Zuschauer im Wembley-Stadion tobten - eine Sensation witternd. Joshua blies zum Angriff. Dreimal war er zuvor auf die Bretter gegangen, nun wollte AJ seinem Rivalen die Lichter ausknipsen. Ein Comeback hinlegen, gegen alle Widerstände. Aufstehen, immer aufstehen. Weiter immer weiter. Rocky Balboa lässt grüßen. Im Jagdfieber vergaß der Ex-Weltmeister allerdings die Box-Basics. Als Joshua seinen Rivalen an den Ringseilen stellte, um Schluss zu machen, unterlief ihm ein Anfängerfehler: Er ließ die linke Flanke offen.

Joshua legte alles, was er noch hatte, in einen rechten Aufwärtshaken, holte aus, ließ dabei aber die linke Faust zum Schutz der linken Gesichtshälfte fallen. Dubois erkannte die Lücke und donnerte Joshua einen rechten Konter an den Kiefer, der den 1,98-Meter-Hünen kollabieren ließ.

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Joshuas vierte Niederlage im 32. Profikampf - sie war die niederschmetterndste. Noch nie zuvor hatte der Ring-Darling der Briten nach den Kampf gegen den Zehn-Sekunden-Countup des Ringrichters verloren. Nicht einmal Wladimir Klitschko hatte Joshua 2017 mit seinem legendären rechten Cross k.o. gehauen. Gegen Dubois stürzte Joshua mit dem Kopf voran in den Ringstaub. Ein besonders schwerer Fall. Ein verheerende Niederlage.

AJ ohne Widerstandskraft

"Er hatte seine Tage in der Sonne, so wie wir alle. Er hat Großes geschafft, hat tolle WM-Titel gewonnen und verteidigt, er hat Schotter verdient", riet die britische Box-Legende "Prince" Naseem Hamed seinem Landsmann via "The Sun" zum Rückzug. "Er sollte dankbar abtreten, das ist es, fertig. Denn wenn er am Kinn getroffen wird - wir wollen darüber jetzt nicht sprechen."

Joshuas Kinn war im Fußball-Tempel Londons in der Tat einmal mehr die Schwachstelle des 34-Jährigen. In Runde eins hatte er es dem ausgewiesenen Puncher Dubois - warum auch immer - völlig ungeschützt hingestreckt. Der IBF-Weltmeister nahm das Geschenk an, telegraphierte Joshua einen rechten Schwinger an den Kinnwinkel, der dessen Gehirn-Bein-Verbindung kappte.

Das Frappierende: Joshua sah die "mit Anlauf geschlagene" Faust (anders als Dubois' Kelle in der Fünften) kommen. Dass er seinen Kopf nicht zeitig aus der Schusslinie brachte, spricht für mangelnde Defensive, für Leichtsinn, eine gewisse Arroganz Dubois gegenüber. Dass der Superstar beim ersten wirklichen Einschlag direkt einknickte, danach auf Gummibeinen rundenlang ums nackte Überleben kämpfte, ist freilich auch ein ziemlich eindeutiges Zeichen: Joshuas Nehmerfähigkeiten, seine Widerstandskraft gegen Volltreffer, sind zu schwach.

Joshua fehlt die boxerische Klasse eines Klitschkos

Schon bei seiner ersten Profiniederlagen gegen Andy Ruiz 2019 in New York hatte ein linker Haken genügt, um Joshuas US-Premiere zu verhageln. Seither geht es dem Briten wie einst Wladimir Klitschko: Das Vertrauen ist erschüttert, Gegentreffer lösen Panik aus.

Während Klitschko unter der Ägide von Trainer-Legende Emanuel Steward den Turnaround schaffte und mit einem risikoaversen Stil eine ungeheuerliche Dominanz erreichte, hat Joshua noch immer keine boxerische Balance gefunden. Dem Briten fehlt die technische Klasse Klitschkos. Versuche, eine kontrolliert-offensive, defensivbewusstere Gangart an den Tag zu legen, brachten keinen Erfolg. Der Fokus auf die Offensiv-Stärke, den eigenen bösen K.o.-Geist, nun auch nicht.

Joshuas Zusammenarbeit mit Ex-Fury-Coach Ben Davison wurde im Vorfeld des Dubois-Kampfes hochgelobt. Aggressiver, mental gefestigter sei der Ex-Champ, jubilierte das AJ-Lager. Gegen Dubois war davon nichts zu sehen. Im Ring wirkte Joshua vom Druck seines sofort nach vorne marschierenden Gegners vielmehr verunsichert.

Dubois bestraft krawalllustigen Joshua

Statt den linken Jab zu etablieren und seine Erfahrung auszuspielen, ließ sich Joshua treiben. Nach dem ersten Niederschlag schien er ein Homo Erectus auf Zeit. Und doch hätte der Ex-Champion zurückkommen können. Mit etwas Anlauf traf die lange Führhand. Joshua hätte mit links aufbauen und sukzessive seine gewaltige Rechte nachschieben können. Jab, Jab, dann eins, zwei - doch die Basics ließ er an diesem Abend wie gesagt in der Umkleide.

Joshua wollte sich und der Welt beweisen, Dubois' Sturm aushalten, den 26-Jährigern mit aller Macht brechen zu können. Um es mit Psychoanalyse-Gottvater Siegmund Freund zu sagen: Joshuas Ego, das krawalllustige und selbstzerstörerische "Es", gewann im Tollhaus Wembley die Kontrolle über das Boxer-"Ich", drehte dem risikobewussten, für den Selbsterhaltungstrieb zuständigen "Über-Ich" den Warnmelde-Hahn ab.

Die Verwirrtheit äußerte sich in unsicheren Gesten und Worten: Nach dem Schlussgong zu Runde vier wies Joshua dem klar führenden Dubois den Weg in dessen Ecke; ganz so, als habe er hier alles im Griff, als machten ihm die Schläge nichts aus. In der Rundenpause pumpte er sich mit Trainer Davison verbal auf. "Er (Dubois, d.Red.) ist scheiße!", schnaufte Joshua - wenig später bezahlte er.

Ein Löwenherz ist nicht genug

Der tobenden Meute im Stadion und den schnappatmenden Millionen an den Fernsehern lieferte Joshua zum Herbstbeginn zwar ein Box-Spektakel á la Bonheur, stellte zudem eindrucksvoll sein Kämpferherz zur Schau. Der eigenen Karriere (von der Gesundheit ganz zu schweigen) erwies er aber einen Bärendienst.

Der Knockout von Wembley wird lange in Joshuas Kopf und Knochen stecken - auch wenn der Routinier von einem Rückzug nichts wissen will. Natürlich werde er weitermachen, sagte Joshua noch auf der Pressekonferenz im Anschluss an das Gefecht. Er habe eben alles riskiert und verloren, sei aber ein "Krieger". In einer Videobotschaft an seine Fans legte Joshua nach. "Wir haben den Kürzeren gezogen, müssen aber auf all das Positive schauen. Das ist die Perspektive und das Mindset, das wir brauchen", sprach der zweimalige Schwergewichts-Weltmeister und kündigte einen abermaligen Angriff auf den WM-Thron an.

"Wir haben es einmal gemacht, wir haben es zweimal gemacht. Es zum dritten Mal zu schaffen, ist nicht einfach, aber ich glaube, ich kann es schaffen. Es geht darum, die richtigen Schritte vorwärts zu machen, hart zu arbeiten und sich zu verbessern", sagte Joshua und klopfte sich aufs Herz: "Ich weiß, dass ich viel hiervon habe, das weiß ich." Das Herz eines Boxers kann viel aufwiegen, viele Schwächen im Ring kaschieren. Im Fall von Anthony Joshua ist aber auch ein Löwenherz nicht genug, um sich noch einmal zum Meister aller Klassen zu krönen.

Quelle: ntv.de

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